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zu Grabe trug, hatten keine Erinnerungen verwischt. Zn dem Gemüte
der stillen Frau lebte der gute Mann noch mit allen seinen Eigentüm¬
lichkeiten, deren kleinste und unbedeutendste der Tod verklärt und zu
einem Vorzüge gemacht hatte, wie er mit der Arbeit einhielt und
minutenlang selbstvergessen in die Glaskugel vor seiner Lampe starrte,
wie er auf Spaziergängen am schönen Feiertage plötzlich stillstand und
den Boden betrachtete und das Himmelsgewölbe, wie er nachts erwachte
und stundenlang schlaflos im Bette saß, unzusammenhängende Worte
murmelnd: das alles war nicht vergessen und konnte nie vergessen
werden, wie der gute Mann zwischen Seufzen und frohen Aufwallun¬
gen, zwischen heiterer und niedergeschlagener Stimmung in seinem
Handwerk sich abquälte; — wie er in seinen seltenen Feierstunden so
sehr studierte und vor allem, wie er auf einen Sohn hoffte und so
wunderlich träumte von der Zukunft dieses Sohnes: das stand der
Frau Christine klar vor der Seele.
Die Mutter richtete sich von ihrem Kopfkissen empor und blickte
nach dem Lager des Kindes hinüber. Der Mondschein spielte auf der
Decke und den Kissen und verklärte das Gesicht des schlafenden Knaben,
welcher sich nach seinem betrübten Bericht in den Schlaf geweint hatte,
und auf dessen Wangen noch die Spuren der Tränen zu finden waren,
obgleich er jetzt im Schlummer wieder lächelte und nichts mehr wußte
von dem Kummer des Tages. Die Mutter fühlte die Verantwortlichkeit
über das Schicksal des Kindes schwer auf sich lasten, und obgleich sie
eine ungebildete, arme Frau war, so war ihre Sorge nicht geringer.
Lange betrachtete sie den schlafenden Hans, bis der Mond am
Himmelsgewölbe weiter glitt, und der Strahl von dem Bette verschwand
und sich langsam gegen das Fenster zurückzog. Als endlich vollkommene
Dunkelheit die Kammer füllte, seufzte sie tief und flüsterte: „Sein Vater
hat's so gewollt, und es soll niemand gegen seines Vaters willen sich
setzen. Der liebe Gott wird mir armen, dummen Weibe schon helfen,
daß das Rechte daraus wird. Sein Vater hat's gewollt, und das Kind
soll seinen willen haben nach seines Vaters willen."
Sie erhob sich leise von ihrem Lager und schlich, um den schlafen-
den Knaben nicht zu wecken, auf bloßen Füßen aus der Kammer. Zn
der Stube zündete sie eine Lampe an. Auf den Arbeitsstuhl ihres
Mannes setzte sie sich noch einige Augenblicke nieder und wischte die
Tränen aus den Augen, dann aber trug sie das Licht zu einer Lade im
Winkel, kniete davor nieder und öffnete das altertümliche Schloß, welcyes
dem Schlüssel so lange als möglich den hartnäckigsten widerstand ent¬
gegensetzte.
Als der schwere Deckel zurückgelegt war, füllte ein Duft von frischer
Wäsche und getrockneten Kräutern — Rosmarin und Lavendel — das
Zimmer. Diese Lade enthielt alles, was die Frau Christine Köstliches
und wertvolles besaß, und sorgsam nahm sie sich in acht, daß keine Träne
dazwischen falle. Sorgsam legte sie die bunten und weißen Tücher