fullscreen: Deutsche Jugend ([Teil 5 = 6. - 8. Schulj., [Schülerbd.]])

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zu Grabe trug, hatten keine Erinnerungen verwischt. Zn dem Gemüte 
der stillen Frau lebte der gute Mann noch mit allen seinen Eigentüm¬ 
lichkeiten, deren kleinste und unbedeutendste der Tod verklärt und zu 
einem Vorzüge gemacht hatte, wie er mit der Arbeit einhielt und 
minutenlang selbstvergessen in die Glaskugel vor seiner Lampe starrte, 
wie er auf Spaziergängen am schönen Feiertage plötzlich stillstand und 
den Boden betrachtete und das Himmelsgewölbe, wie er nachts erwachte 
und stundenlang schlaflos im Bette saß, unzusammenhängende Worte 
murmelnd: das alles war nicht vergessen und konnte nie vergessen 
werden, wie der gute Mann zwischen Seufzen und frohen Aufwallun¬ 
gen, zwischen heiterer und niedergeschlagener Stimmung in seinem 
Handwerk sich abquälte; — wie er in seinen seltenen Feierstunden so 
sehr studierte und vor allem, wie er auf einen Sohn hoffte und so 
wunderlich träumte von der Zukunft dieses Sohnes: das stand der 
Frau Christine klar vor der Seele. 
Die Mutter richtete sich von ihrem Kopfkissen empor und blickte 
nach dem Lager des Kindes hinüber. Der Mondschein spielte auf der 
Decke und den Kissen und verklärte das Gesicht des schlafenden Knaben, 
welcher sich nach seinem betrübten Bericht in den Schlaf geweint hatte, 
und auf dessen Wangen noch die Spuren der Tränen zu finden waren, 
obgleich er jetzt im Schlummer wieder lächelte und nichts mehr wußte 
von dem Kummer des Tages. Die Mutter fühlte die Verantwortlichkeit 
über das Schicksal des Kindes schwer auf sich lasten, und obgleich sie 
eine ungebildete, arme Frau war, so war ihre Sorge nicht geringer. 
Lange betrachtete sie den schlafenden Hans, bis der Mond am 
Himmelsgewölbe weiter glitt, und der Strahl von dem Bette verschwand 
und sich langsam gegen das Fenster zurückzog. Als endlich vollkommene 
Dunkelheit die Kammer füllte, seufzte sie tief und flüsterte: „Sein Vater 
hat's so gewollt, und es soll niemand gegen seines Vaters willen sich 
setzen. Der liebe Gott wird mir armen, dummen Weibe schon helfen, 
daß das Rechte daraus wird. Sein Vater hat's gewollt, und das Kind 
soll seinen willen haben nach seines Vaters willen." 
Sie erhob sich leise von ihrem Lager und schlich, um den schlafen- 
den Knaben nicht zu wecken, auf bloßen Füßen aus der Kammer. Zn 
der Stube zündete sie eine Lampe an. Auf den Arbeitsstuhl ihres 
Mannes setzte sie sich noch einige Augenblicke nieder und wischte die 
Tränen aus den Augen, dann aber trug sie das Licht zu einer Lade im 
Winkel, kniete davor nieder und öffnete das altertümliche Schloß, welcyes 
dem Schlüssel so lange als möglich den hartnäckigsten widerstand ent¬ 
gegensetzte. 
Als der schwere Deckel zurückgelegt war, füllte ein Duft von frischer 
Wäsche und getrockneten Kräutern — Rosmarin und Lavendel — das 
Zimmer. Diese Lade enthielt alles, was die Frau Christine Köstliches 
und wertvolles besaß, und sorgsam nahm sie sich in acht, daß keine Träne 
dazwischen falle. Sorgsam legte sie die bunten und weißen Tücher
	        
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