Full text: Drittes Schulbuch für die Oberclassen der Volksschule

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seinen Eltern zum geistlichen Stande bestimmt, besuchte mehre Schulen und 
die berühmte Universität Oxford. Bald fand er durch eifriges Bibelstudium 
manchen Widerspruch zwischen dem Evanaelio und den Lehren des Papstes. 
Er behauptete unter Anderm: „Die römische Kirche sei nicht das Oberhaupt 
der andern Kirchen; Petrus habe keinen Vorrang vor den übrigen Aposteln 
gehabt, und der Papst sei als sein angeblicher Nachfolger in Bezug auf die 
Gewalt, Sünden zu vergeben, jedem andern Geistlichen gleich." Als im I. 
1365 der englische König Eduard III. dem Papste den Peterspfennig verwei¬ 
gerte, vertheidigte Wiclef die Sache seines Königs in Wort und Schrift. Da¬ 
durch gewann Wiclef hohe Gunst bei König und Volk, während er sich den 
Haß des Papstes und seiner Anhänger zuzog. Er ward zum Professor der 
Universität Oxford ernannt und bald darauf in einer Streitsache nach Rom 
gesandt. Hier sah er aber mit eigenen Augen die Bestechlichkeit und Ungeistlich¬ 
keit der Bischöfe und des Papstes. Immer kühner ward nun seine Sprache, immer 
ernster sein Forschen in der Schrift. Er erklärte sogar den Papst für den 
Antichrist, Christi ärgsten Feind; die vielen Feiertage waren ihm anstößig; 
der Bilderdienst war ihm Götzendienst: er zweifelte an der Nothwendigkeit von 
7 Sacramenten; er verwarf den ehelosen Stand der Geistlichen (den Cölibat), 
sowie die Ohrenbeichte; er erklärte den Ablaßhandel für Betrug und sagte 
frei heraus: „Hat der Papst die Macht, die Seelen aus dem Fegefeuer 
zu erretten und thut er's nicht, so ist es Bosheit; läßt er sich dafür bezahlen, 
so ist es Habsucht; hat er aber die Macht nicht, so ist es Betrug." Die ge¬ 
weihte Hostie betrachtete er nicht als den leiblichen Christus, noch als einen 
Theil von ihm, sondern hielt sie nur für ein kräftiges Zeichen. Natürlich 
zog sich Wiclef dadurch viele Gegner zu; doch hatte er unter den Vornehmen, 
wie unter dem Volke viele Anhänger, die sich seinen Feinden kräftig wider¬ 
setzten. Als er im I. 1378 schwer erkrankt war, wollten ihn 4 Bettelmönche 
und 4 oxforder Bürger zum Widerrufe seiner Lehren bewegen. Doch der 
schwache Wiclef richtete sich plötzlich auf, fühlte sich neu gestärkt und rief den 
Mönchen zu: „Ich werde nicht sterben; ich werde leben, um die Bosheit der 
Mönche zu verkündigen." Nach seiner Genesung übersetzte er für das Volk 
die beilige Schrift in die englische Sprache. Er sandte sogar eigene Prediger 
— Lollharden — aus, das reine Evangelium in den Gemeinden zu ver¬ 
kündigen. Mit Gewalt suchten die Päpste das Lesen der Schrift zu ver¬ 
hindern ; man verbrannte die Wiclefiten und hing ihnen die Bibel an den 
Hals. Alles umsonst; die Wahrheit behauptete ihr Recht. Endlich gelang 
es Wiclef's Feinden, ihn auf zwei Synoden, zu Oxford und zu Londoü, als 
einen Ketzer zu verdammen. Er wurde seiner Lehrerstelle an der Universität 
entsetzt. Alles dies aber trug er mit christlicher Geduld und sprach: „Gott 
ist mein Zeuge, daß ich vor Allem nur die Ehre Gottes und das Heil der 
K'.rche suche, aus Ehrfurcht gegen Gottes Wort und aus Gehorsam gegen 
Christi Gebot." 
Wiclef konnte seine letzten Lebenstage in Frieden beschließen; er starb 
am 31. Decbr. 1384 als Prediger zu Lutterworth (in der Grafschaft Leicester). 
Seine zahlreichen Schriften wurden in einem großen Theile Europa's, beson¬ 
ders in Böhmen, verbreitet. Der Haß gegen ihn ruhete auch nach seinem 
Tode nicht. Im F. 1410 verbräunte man in Oxford seine Schriften und 
1425 grub man sogar seine Gebeine wieder aus, verbrannte sie und streute 
seine Asche in den Fluß. Doch der Same, den er in England gesäet, konnte 
nicht zerstört werden; er sollte vielmehr bald in Deutschland auf einen guten 
Boden fallen und zu gesegneten Früchten reifen, die da bleiben bis ins ewige 
Leben. Nach Otto u. Wippermann.
	        
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