Full text: Lesebuch in Lebensbildern für Schulen (3)

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b. Gefühls-Vermögen. 
239. Das Vergnügen und der Schmerz. 
Du, Freundliche! Wer bist du? sprach der Mensch. — 
— „Vergnügen 
Werd' ich genannt." — Und du, aus dessen Zügen 
Verdruß und Trübsinn spricht? — 
„Ich bin der Schmerz." — Dich mag ich nicht; 
Doch du, holdseliges Vergnügen, 
Sollst mein sein, nimmer von mir geh'n. 
„Nein, guter Freund!" versetzte das Vergnügen, 
„Was du begehrst, kann nicht gescheh'n. 
Wer mich verlangt, muß sich bequemen, 
Auch meinen Nachbar aufzunehmen, 
Den zum Gefährten mir der Himmel auserkohr. 
Seit uns des Schicksals Hand verbunden, 
Hat man uns nie getrennt gefunden; 
Bald folg' ich nach, bald geh' ich vor." 
Willamow. 
Gemüthsbewegungen. 
240. Die Adlerjagd. 
Drei Brüder, junge Bauern in Sardinien, wurden in einer 
Felsenspalte über der Ttefe eines Abgrundes ein großes Adler-Nest 
gewahr, welches ihnen eine reiche Beute zu versprechen schien. Aber 
der Felsen war so steil und der Horst so tief unten, daß keine Mög¬ 
lichkeit, zum letzteren zu gelangen, übrigblieb, als sich an einem Seile 
hinabzulassen. Die Brüder legten also ein Seil um den Stamm eines 
jungen Baumes, um sich eine Art von Nolle zu verschaffen, und das 
Seil auf diese Art hinablassen und heraufziehen zu können. Bei die¬ 
sem Unternehmen war nicht nur die Gefahr des Sturzes in eine Tiefe 
von 150 Fuß, sondern auch die des Angriffs der alten Geieradler 
zu fürchten. Deßwegen nahm der, durch das Loos von den drei 
Brüdern zum Unternehmen bestimmte, seinen Säbel mit; die beiden 
andern hielten das Seil. Der Aelteste war 26 Jahre, der muthige 
Jäger 22 Jahre alt, von herkulischer Kraft, mit schwarzen Augen und 
Haaren, das wahre Bild jener schönen Bergbewohner der südlichen 
Gegend. 
Er wird an das Seil gebunden und hinabgelassen. Jetzt schwebt 
er über dem Abgrunde vor der Spalte, in welcher das ersehnte Nest 
steht. Er nimmt es aus und hat vier junge Geieradler mit weißlich 
gelbem Flaume in seiner Hand. Er ruft seinen Brüdern zu, das Seil 
hinaufzuziehen; seine Stimme schallt weit durch die Klüfte, aber sie 
erreicht auch das Ohr seiner Feinde. Plötzlich sieht er sich von zwei 
Geieradlern, den Eltern dieser Jungen, wüthend angefallen. Alle an¬ 
deren Raubvögel, auch Bewohner dieses Felsens, erheben ein furcht¬ 
bares Geschrei und scheinen den Geieradlern helfen zu wollen.
	        
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