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Windstoss das Körbchen und zerstreute alle sorgsam gesammelten
Blümchen über das Feld hin.
§ 7. Da entstellte sich seine Geberde. Mit zürnendem Un-
muth schleuderte er das leere Körbchen auf den Boden. Laut wei¬
nend und durchnässt erreichte er die Wohnung seiner Eltern.
§ 8. Bald verzog sich das Gewitter. Der Himmel klärte sich
wieder auf. Die Vögel begannen von neuem ihre Lieder; der Land¬
mann seine Arbeit. Die Luft war reiner und kühler geworden.
Eine süsse Ruhe und Stille herrschte da, wo kurz vorher noch
Stürme brausten. Dem neu getränkten Gefilde entquoll Stärkung
und Wohlgeruch. Alles schien erneuet und verjüngt, als käme die
Natur so eben erst aus den Händen ihres liebevollen Schöpfers.
Die Bewohner des Feldes blickten mit dankbarer Freude zu dem
fernen Gewölk empor, das ihren Fluren Gedeihen und Segen ge¬
bracht hatte.
§ 9. Den verscheuchten Knaben lockte der heitere Himmel
von neuem in das Gefilde. Beschämt ging Erich in der Stille zurück,
damit er sein weggeworfenes Körbchen wiederfinde und abermals
mit Blumen fülle. Er fühlte sich neu belebt. Der Hauch der küh¬
len Luft, der Geruch des Feldes, das Laub der Bäume, der Gesang
des Waldes, Alles schien ihm jetzt doppelt schön. Das beschämende
Bewusstsein seines Unmuths machte seine Freude sanfter und be¬
scheidener. —
§ 10. Noch lag das Körbchen da, wo sich die Anhöhe erhob.
Eine Brombeerstaude hatte es zurück gehalten und gegen die Ge¬
walt des Windes geschützt. Dankbar blickte der Knabe die Staude
an und lösete das Körbchen. Aber wie froh war sein Erstaunen,
als er um sich her schaute. Das Feld glänzte, wie ein Sternen¬
himmel. Der Regen hatte tausend frische Blumen hervorgelockt,
tausend Knospen geöffnet. In jedem Blumenkelch perlten Thautropfen.
Erich schwärmte umher, wie eine emsige Biene, und pflückte.
§ 11. Da neigte sich die Sonne zum Untergange. Der fröh¬
liche Knabe enteilte mit vollem Körbchen zur Heimath. Wie ent¬
zückte ihn sein Blumenschatz und der Kranz seiner frischgesammel¬
ten Erdbeeren! Die untergehende Sonne umstrahlte sein freundliches
Antlitz, während er heim wandelte. Aber noch freundlicher glänzte
sein Auge, als er den freudigen Dank der Schwester vernahm. —
„Nicht wahr,“ sagte die Mutter, „die Freuden, die wir Andern
bereiten, sind doch die schönsten von allen.“
75. Moses Mendelsohn.
Moses Mendelsohn war Handlungsdiener bei einem Kaufmann,
welcher das Pulver nicht erfunden hatte. Moses war ein sehr from¬
mer und weiser Mann. Desshalb wurde er von den gelehrten Män¬
nern seiner Zeit hochgeachtet und geliebt. Dieser Moses Mendelsohn
gab unter andern von der Zufriedenheit mit seinem Schicksale fol¬
genden Beweis. Eines Tages kam ein Freund zu ihm, als er eben
an einer schweren Rechnung schwitzte. „Es ist doch schade, guter