Full text: Deutsches Lesebuch für Mittelschulen

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II. Bilder aus der Länder- und Völkerkunde. 
setzen der Passagiere und die namenlose 
Verwirrung waren um so größer, als 
der Kapitän, weil er unter den Schla¬ 
fenden sich befand, nicht sogleich an Ort 
und Stelle war. Die Thätigkeit der 
Dampfmaschine war gleich Anfangs auf 
die Hälfte vermindert worden; ihren 
völligen Stillstand herbei zu führen, 
mißlang, und die Ingenieure, welche 
heldenmüthig diesen Versuch wagten, 
fanden in Rauch und Flammen den Tod. 
Gelang es, das Schiff zum Stehen zu 
bringen, dann war noch Hoffnung, den 
Brand löschen zu können. So aber, da 
das Schiff gegen den Wind trieb, wur¬ 
den die Flammen zu immer hellerer 
Gluth angefacht und an eine Bewälti¬ 
gung des feindlichen Elementes war nicht 
mehr zu denken. Wohl hatte das Schiff 
acht Rettungsboote; allein wenn sie auch 
alle hätten flott gemacht werden können, 
sie wären nicht ausreichend gewesen, die 
gesammteSchiffsbevölkerung aufzunehmen. 
Zum Unglück aber verbrannten noch 
vier; drei andere schlugen bei der Hast 
und dem Ungestüm, womit man sich zu 
ihnen drängte, um und versanken im 
Meere. Das vierte nur stieß mit drei¬ 
undzwanzig Personen vom brennenden 
Schiffe ab. Der Kapitän hatte sich ins 
Meer gestürzt, um das Boot durch 
Schwimmen noch zu erreichen, aber er 
versank in den Flmthen. Herzzerreißend 
war der Jammer der auf dem Schiffe 
zurück Gebliebenen. Viele entsagten jeder 
Hoffnung auf Rettung, und nur die 
Wahl zwischen dem langsameren, qual¬ 
volleren Feuertod und dem rascheren, 
aber minder schmerzlichen Wassertod vor 
Augen, wählten sie in der Verzweiflung 
entschlossen den letzteren und stürzten sich 
freiwillig in die Wogen des Meeres. 
Wer könnte all die erschütternden Jam¬ 
merscenen beschreiben, die sich hier in 
wenige Stunden, ja in wenige Minuten 
zusammen drängten! Zwei junge Mäd¬ 
chen, Schwestern, stürzten sich, fest an¬ 
einander geschlungen, nach kurzem Ge¬ 
bete in die Wellen. Ein Ungar mit 
sieben lieblichen Kindern bewog zuerst 
seine Frau, hinab zu springen; darauf 
segnete er seine sechs ältesten Kinder und 
ließ sie, eines nach dem andern, sich in die 
grauenvolle Tiefe stürzen; endlich folgte 
er selber, das jüngste Kind im Arme. 
Auch ein Böhme und sein erwachsener 
Sohn umschlangen sich, um im Tode 
vereint zu bleiben; ihnen folgte die 
Mutter mit zwei Töchtern ins feuchte 
Grab. Viele Frauen entschlossen sich 
erst dann zum gräßlichen Sprunge, als 
ihre Kleider schon Feuer gefangen hatten. 
Manche hingen stundenlang an Tauen 
und Ketten, bis sie sich ermüdet los 
lassen und ins Wasser stürzen mußten. 
Endlich flog die Pulverkammer auf; die 
Dampfmaschine wurde beschädigt und 
hörte auf zu arbeiten. Nun drehte der 
Wind das Schiff um und trieb Rauch 
und Hitze auf das Vorderdeck, auf welchem 
die dahin geflüchteten Passagiere dicht 
gedrängt standen. Die sich mit Zähig¬ 
keit am Leben festhielten, kletterten auf 
die äußersten Enden des Bugspriets, 
auf den Klüverbaum, oder sie erfaßten 
die daran hängenden Taue und Ketten. 
Ein Mast nach dem andern, von den 
Flammen zerstört, stürzte zusammen; die 
ganze Austria war bald nur noch ein 
Flammenberg. 
In diesem Augenblicke, in der äußer¬ 
sten Bedrängniß, da die Mehrzahl schon 
den Tod gefunden hatte, näherte sich 
ein französisches Segelschiff. Sobald 
deffen Kapitän das gräßliche Schauspiel 
von ferne erblickte, steuerte er auf die 
brennende Austria zu und ließ Boote 
aussetzen, welche die Schwimmenden auf- 
sischten und die an den Schiffswänden 
Hängenden aufnahmen. So wurden über 
vierzig Personen an Bord des franzö¬ 
sischen Schiffes gebracht, und auch die 
im Boote der Austria geflohenen drei¬ 
undzwanzig Personen fanden dort gast¬ 
liche Aufnahme. Während der Nacht 
setzte der Kapitän, weil der Wind heftig 
geworden war, mit dem Rettungswerke 
aus, hatte aber die feste Absicht, das¬ 
selbe am Morgen wieder aufzunehmen. 
Ein schwedisches Schiff aber kam ihm 
zuvor und übernahm die letzten zweiund¬ 
zwanzig Schiffbrüchigen, welche den 
Schrecken der Nacht überdauert hatten. 
Nur neunundachzig Personell waren dem 
Tode entgangen, darunter sechzehn von 
der Bemannung des Schiffes.
	        
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