IV.
Naturdilder
153. Die Natur.
Die Vöglein regen ihre Schwingen
Im morgengoldnen Wolkenmeer,
Und ihre Sprache ist ihr Singen,
Und aus den Lüften hör' ich's klingen:
Dem Herrn sei Lob und Ehr'!
Und bunte Blumen seh' ich blühen,
Umwogt vom grünen Halmenmeer,
Und ihre duft'gen Kelche glühen,
Und ihre Sprache ist ihr Blühen:
Dem Herrn sei Lob und Ehr'!
Und tausend goldne Sternlein wandern
Bei Nacht auf dunklem Aethermeer,
Und wie sie kommen, wie sie wandern,
Spricht eines grüßend zu dem andern:
Dem Herrn sei Lob und Ehr'! 3. @turnt-
Die Natur führt uns zu Gott, dem
allweisen und allmächtigen Vater des
Himmels und der Erde. Der Frühling
erwacht; die Wiese schmückt sich mit
frischem Grün; tausend Blumen erhe¬
ben ihre farbenreichen Kronen zum Him¬
mel; der Baum prangt im Laubge-
wande, und weiße und rothe Blüthen
duften uns von ihm entgegen. Die
Lerche erhebt sich in die Luft und bringt
dem Schöpfer ihren Morgenpsalm dar.
Der bunte Schmetterling, die fleißige
Biene wiegen sich über den Blumen¬
kelchen; der muntere Käfer ist aus sei¬
ner Erstarrung zu neuem Leben er¬
wacht. Im Wasser spielen der Fische
zahlreiche Schaaren. Aus des Waldes
Dunkel erschallt der Vögel hundertfäl¬
tiger Chor. Der einfache Grashalm,
des Baumes Blüthe, der Farbenschmelz
des Schmetterlings, das Lied des Vo¬
gels — was verkünden sie, als die
Allmacht und Weisheit, die Güte des
Schöpfers!
Erheben wir aber unsere Augen von
der lieblichen Erde zum großen herr¬
lichen Himmel! Der Morgen graut, die
Wolken kleiden sich in goldenes Morgen¬
roth. Die Sonne erscheint, die Spen¬
derin der Wärme und des Lichtes. Die
Wolken ziehen durch die Luft und sen¬
den der schmachtenden Erde den befruch¬
tenden Regen. Sie sammeln sich in
der schwülen Hitze des Sommertages:
der Donner erschallt; die feurigen Blitze
zucken durch die Luft; der Mensch steht
in stummer Ehrfurcht; er erkennt die
Stimme des Höchsten, er faltet die Hände
zunr Gebet.
Der Tag neigt sich zu Ende, die
Sonne verschwindet hinter den Bergen
gegen Abend. Die Nacht erscheint und
tausend schimmernde Sterne schmücken
das Firmament und zeugen vom Ewi- *
gen, Allweisen, Allmächtigen. Und stei¬
gen wir hinab in die Tiefen der Erde,
so verkündigen das schimmernde Gold,
der funkelnde Edelstein, das nährende
Salz, die feuerfangende Steinkohle Got¬
tes schaffende Hand.
Er zeigt sich im kühlen Wehen der
Abendluft, im fürchterlichen Rauschen
des Sturmes, der Rieseneichen entwur¬
zelt, Häuser abdeckt, Schiffe in die
Tiefen des Meeres schleudert; er zeigt
sich im schauerlichen Beben der Erde,
wenn sie sich öffnet, und Menschen und
Thiere, Städte und Dörfer in ihrem
Schooß begräbt.
So führt uns die Natur zu Gott,
sie lehrt uns ihn erkennen als den
Allmächtigen und Allgütigen; aber wir
müssen einen frommen Sinn mitbringen
zur Betrachtung der Natur, und diesen
Sinn gibt uns unsere Religion.
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