Full text: Deutsches Lesebuch für Mittelschulen

177. Der Bergbau. 
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schon seit den ältesten historischen Zeiten 
jeder heftige Sturm, der den ehemaligen 
Waldboden aufwühlt, das werthvolle 
Fossil an den Strand wirft, und daß 
wahrscheinlich eine späte Zukunft sich noch 
in unvermindertem Maße seines Fundes 
erfreuen wird. — 
In den Seestädten Danzig und 
Königsberg, wo der meiste See- 
und Erdbernstein zusammenfließt, wird 
er je nach seiner Größe und Qualität 
sortirt. Die größeren, feinen und reinen 
Stücke, etwa bis zum Umfang einer 
Haselnuß, sind Sortiments- und 
Arb eit s steine; die kleineren heißen 
kleine Waare. Den durchscheinen¬ 
den Beruftem schätzt man höher, als 
den durchsichtigen und den undurch¬ 
sichtigen; diese beiden stehen daher auch 
um ein Drittel im Preise niedriger, als 
die ersteren. Von der kleinen Waare, 
aus denen sich noch Lohnen- und erbsen¬ 
große Corallen drehen lassen, kostet das 
Pfund gewöhnlich 1—2 fl. — Was aber 
hierzu nicht mehr taugt, wird zur Fir¬ 
niß-, Oel- und Säurebereitung oder zum 
Räuchern verbraucht und von 21¡2 bis 
zu 15 Silbergroschen das Pfund verkauft. 
Der Bernsteinarbeiter muß an den 
vorhandenen Stücken mit Feile, Meißel 
und Grabstichel seine Kunst erproben und 
je nach der Vollkommenheit und Voll¬ 
endung der dargestellten Gegenstände dem 
rohen Stoffe einen höheren Werth er¬ 
theilen. — 
Der beste durchscheinende Bern¬ 
stein geht zum Großhandel nach dem 
Orient; der durchsichtige und der ganz 
undurchsichtige wird von den Morgen- 
ländern verachtet. Die sehr geschickten 
Arbeiter in Constantinopel fertigen dar¬ 
aus Mundstücke zu türkischen Pfeifen¬ 
röhren an, welche oft mit Perlen und 
Edelsteinen aller Art verziert und zu 
fast unglaublichen Preisen an die Großen 
des Reiches verkauft werden. Eine etwas 
geringere Sorte rohen Bernsteins pflegt 
über London und Kopenhagen nach China, 
Japan, Ost- und Westindien zu gehen. 
Auch Rußland bezieht viel Bernstein, 
der, sehr zierlich und künstlich verarbeitet, 
im ganzen russischen Reiche verbreitet 
ist. — Bei uns ist der Handel mit 
Bernstein jetzt nicht mehr so bedeutend, 
obgleich noch Halsschnüre, Pfeifen- und 
Cigarrenspitzen daraus verfertigt werden. 
Der verfeinerte Luxus, der den Schmuck 
der genügsameren Vorfahren verschmäht, 
hat durch die geringere Nachfrage nach 
diesen Fabrikaten den Erwerb der damit 
Beschäftigten so beschränkt, daß sie sich 
nur kärglich ernähren können. 
177. Der 
1. Ein klarer, frischer Herbstmorgen 
tagt. Die ersten Strahlen der auf¬ 
gehenden Sonne beleuchten eine rauhe, 
steinige Gebirgsgegend. Rings herrscht 
tiefe Stille, nur unterbrochen von dem 
Geläute einzelner Glöckchen, das hier 
und da aus dem Thale und von den 
Berghöhen herüberklingt. Aus dem Dun¬ 
kel des Thales steigen jetzt einzelne Ge¬ 
stalten herauf. Es sind Bergleute in 
ihrer eigenthümlichen Tracht, und ihre 
ernsten Mienen deuten auf ein ernstes 
Thun, zu dem sie sich rüsten. Das 
Glöcklein ruft sie zur Fahrt in die Tiefe. 
Glück auf! ihr Männer, Glück auf zur 
rüstigen Arbeit, deren Mühen und Ge¬ 
fahren die Nacht der Tiefe vor den 
Augen der Welt verhüllt. Die dumpfe 
Stille wird bald unterbrochen von den 
Bergbau. 
klirrenden und schrillenden Hammer¬ 
schlägen der Arbeiter, vom Knarren und 
Dröhnen der Räder und Maschinen, 
oder dann und wann vom Krachen ein¬ 
zelner Schüsse, die mächtig widerhallen 
und in fernem Beben sich verlieren, 
oder vom Donner einer gesprengten 
Mine, der langsam durch die unter¬ 
irdischen Gänge hinrollt. 
Warum, fragst du schaudernd, wagt 
der Mensch sich in diese unheimlichen 
Tiefen, warum wühlt er sich diese Gänge 
und Höhlen, die nie der goldene Glanz 
des Tages belebt? In diesen Tiefen 
ruhen die köstlichsten Schätze der Erde; 
mächtig locken dieselben und reichlich 
lohnen sie die Mühe der Arbeit. Sie 
sind, wie sie es vor Alters waren, noch 
heut die Grundlagen aller Industrie und
	        
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