26. Der König Watzmann. 27. Der Berggeist „Rübezahl" im Riesengcbirgc.
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26. Der König Watzmann.
(Sage aus dem Alpenland.)
Es herrschte einmal vor alter Zeit
im Berchtesgadener Lande ein König,
Namens Watzmann. Derselbe liebte weder
Menschen noch Thiere, und süße Lust
war es seinem grausamen Herzen, die
Menschen zu quälen und die Thiere zu
martern. Darum war auch die wilde
Jagd seine höchste Freude, wo ihn Nü-
dengeheul und Hörnerschall umgab, daß
die Wälder davon wiedertönten. Doch
nicht allein er, auch Weib und Kind
fanden hohe Luft an der wilden Hetz¬
jagd, wenn die dampfenden Rosse unter
ihnen zusammen stürzten und das todt¬
gehetzte Wild von den Hunden zerfleischt
wurde.
So ging es Tag und Nacht, sonder
Ruh und Rast, über Stock und Stein,
bergauf und bergab, der Saat des Land¬
mannes spottend. Lange Zeit trieb er
es so, aber Gottes strenges Strafgericht
ereilte den Gottlosen.
„Halloh, hinaus zur wilden Jagd!"
tönte es einst wieder durch den Schlo߬
hof; die Hörner schallten, die Rüden
heulten, und bald ging es mit Weib
und Kindern wieder dahin in tollem
Zug. Im Dämmerlichte sieht der König
ein Mütterlein, die Enkelin auf dem
Schooß, und lenkt sein Pferd vor die
Hütte hin, daß Roß und Reiter sie zer¬
stampften. Und wie der Bauersmann
und sein Weib aus der Hütte trostlos
traten, um die sterbende Mutter im
Hause zu betten, da hetzt d.er König die
schnaubenden Rüden auf sie, daß auch
sie unter den Zähnen der Bestien ver¬
scheiden. Lachenden Blicks sieht der König
zu und mit ihm die Gattin und Kinder,
wie sterbende Menschen im Blute sich
winden.
Da hebt das Mütterlein mit ge¬
brochenem Blick empor die zerfleischte
Rechte und flucht fürchterlich im Sterben
dem König und der Königin mit ihren
sieben Kindern, daß sie die Strafe der Gott¬
heit erreiche und in Felsen verwandle.
Und die Erde erbebt, der Sturm¬
wind braust, als ob das Weltende ge¬
kommen. Feuer sprüht aus dem Schooße
der Erde und wandelt Vater, Gattin
und Kinder in riesige Felsen um.
So steht Watzmann mit Gattin und
sieben Kindern in riesige Felsen ver¬
wandelt und blickt als ewiges Wahr¬
zeichen hinab in's Berchtesgadener Land.
27. Der Berggeist „Rübezahl" im Riesengebirge.
Jedes Land und Volk hat seine Sa¬
gen. Sie reichen ihrem Ursprünge nach
bis in die grauen Zeiten des Alterthums,
in die heidnische Vorzeit. Winzige Zwerge
oder gewaltige Niesen mußten Schätze
bewachen und hausten bald zum Segen,
bald zum Fluch der Menschheit in Ber¬
gen, Wäldern oder Quellen. Nur selten
werden sie als bösartig geschildert. Sie
nahmen nur dann einen feindseligen
Charakter an, wenn sie verspottet oder
beleidigt wurden.
Das Riesengebirge, namentlich
die Seite, an der Schlesien lagert, war
seit undenklichen Zeiten der Schauplatz
der Thaten Rübe zahl's. Die Ent¬
stehung seines Namens erklärt man ans
die verschiedenste Weise. Die bekannteste
ist folgende:
Der Berggeist machte einst, um eine
gefangene Prinzessin zu unterhalten, aus
Rüben scheinbar Menschen, die, so lange
der nährende Saft der Rübe sie belebte,
im Aeußern ganz das Wesen der Men¬
schen annahmen. Da aber mit dem
Welken der Rübe auch die menschliche
Gestalt verging und diese Scheinwesen
nur eine kurze Lebensdauer hatten, so
mußte Rübezahl einen großen Vorrath von
Rüben haben. Er bepflanzte deßwegen ein
großes Feld mit diesem Gewächs, stellte
Wächter dazu und zählte selbst auf's
sorgfältigste die Rüben auf dem Acker;
daher hieß man ihn Rübenzähler
oder Rübezahl. Es ist jedoch zu be¬
merken, daß ihn die Nennung dieses
Namens keineswegs freundlich stimmte,
sondern daß er auf den Ruf „Rübezahl!"