29. Tischlein deck dich, Esel streck dich, Knüppel aus dem Sack.
47
länger als eine Nacht verweilen. Das
ist die Buße, die dir der Herr auflegt."
Da nahm der Einsiedler das Stück
Holz und ging in die Welt zurück, die
er so lange nicht gesehen hatte. Er aß
und trank nichts, als was man ihm an
den Thüren reichte; manche Bitte aber
ward nicht gehört und manche Thüre
blieb ihm verschlossen, also daß er oft
ganze Tage lang keinen Krumen Brod
bekam. Einmal war er von Morgen
bis Abend von Thüre zu Thüre gegangen,
Niemand hatte ihm etwas gegeben, Nie¬
mand wollte ihn die Nacht beherbergen,
da ging er hinaus in einen Wald und
fand endlich eine angebaute Höhle, und
eine alte Frau saß darin. Da sprach
er: „Gute Frau, behaltet mich diese
Nacht in Euren: Hause." Aber sie ant¬
wortete: „Nein ich darf nicht, wenn ich
auch wollte. Ich habe drei Söhne, sie
sind bös und wild; wenn sie von ihrem
Raubzng heimkommen und finden Euch,
so würden sie uns beide umbringen."
Da sprach der Einsiedler: „Laßt mich
nur bleiben, sie werden Euch und mir
nichts thun," und die Frau war mit¬
leidig und ließ sich bewegen. Da legte
sich der Mann unter die Treppe und,
das Stück Holz unter seinen Kopf. Wie
die Alte das sah, fragte sie nach der ^Ur¬
sache, da erzählte er ihr, daß er es zur Buße
mit sich herum trage und Nachts zu
seinem Kissen brauche. Er habe den
Herrn beleidigt, denn als er einen armen
Sünder auf dem Gange nach dem Gericht
gesehen, habe er gesagt, diesem wider¬
fahre sein Recht. Da fing die Frau an
zu weinen und rief: „Ach, wenn der
Herr ein einziges Wort so bestrafet, wie
wird es meinen Söhnen ergehen, wenn
sie vor ihm im Gericht erscheinen."
Um Mitternacht kamen die Räuber
heim, lärmten und tobten. Sie zündeten
ein Feuer an, und als das -die Höhle
erleuchtete, und sie einen Mann unter
der Treppe liegen sahen, geriethen sie
in Zorn und schrieen ihre Mutter an:
„Wer ist der Mann? Haben wir's nicht
verboten, irgend Jemand aufzunehmen?"
Da sprach die Mutter: „Laßt ihn, es
ist ein armer Sünder, der seine Schuld
büßt." Die Räuber fragten: „Was hat
er gethan?" und riefen: „Alter, erzähle
uns deine Sünden!" Der Alte erhob
sich und sagte, wie er mit einem einzigen
Worte schon so gesündigt habe, daß Gott
ihm zürne und er für diese Schuld jetzt
büße. Den Räubern ward von seiner
Erzählung das Herz so gewaltig gerührt,
daß sie über ihr bisheriges Leben er¬
schraken, in sich gingen und mit herz¬
licher Reue ihre Buße begannen. Der
Einsiedler, nachdem er die drei Sünder
bekehrt hatte, legte sich wieder zum Schlafe
unter die Treppe. Am Morgen aber
fand man ihn todt, und aus dem trocke¬
nen Holz, auf welchem. sein Haupt lag,
waren drei grüne Zweige hoch empor
gewachsen.
Also hatte ihn der Herr wieder in
Gnaden zu sich aufgenommen.
29. Tischlein deck dich, Esel streck dich, Knüppel aus dem Sack.
(Märchen.)
In einem kleinen Städtchen lebte
ein ehrlicher Schneider mit seiner Fa¬
milie, die fünf Köpfe zählte: Vater,
Mutter und drei Söhne. Letztere wur¬
den sowohl von den Eltern, als auch
von sämmtlichen Einwohnern des Städt¬
chens nicht nach ihrem Taufnamen, son¬
dern schlechtweg nur: der Lange, der
Dicke, der Dumme genannt. So folg¬
ten sie dem Alter nach aufeinander. Der
Lange wurde ein Schreiner, der Dicke
ein Müller, der Dumme ein Drechsler.
Als nun der Lange aus der Lehre kam,
wurde sein Bündelein geschnürt und er
in die Fremde geschickt, und er zog wohl-
gemuth und mit langen Schritten zum
Thore des heimatlichen Städtchens hin¬
aus. Lange Zeit wanderte der Bursche
von Ort zu Ort und konnte keine Arbeit
bekommen. Da nun sein ohnehin knap¬
pes Reisegeld zu Ende ging und er keine
frohe Aussicht hatte zu Arbeit und Ver¬
dienst, so wurde er traurig und ging
kopfhängend und sachte auf seinem Wege
weiter. Dieser führte just durch einen
stillen, schönen Wald, und wie der Bursche