Full text: Deutsches Lesebuch für Mittelschulen

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I. Erzählungen. 
Musikant aber besann sich kurz, nahm 
sein Taschenmesser heraus, setzte es auf 
den Kreuzer mit der Schneide und schlug 
ihn mit einem dabei liegenden Hammer 
entzwei. Als er nun die eine Hälfte 
auf diesen, die andere aber auf jenen 
Haufen warf, wurde das Männchen ganz 
heiter und sprach: „Du himmlischer Mann, 
du hast mich erlöst! Schon hundert Jahre 
muß ich meinen Schatz bewachen, den 
ich aus Geiz zusammengescharrt habe, 
bis es Einem gelingen würde, das Geld 
in zwei gleiche Theile zu theilen. Noch 
nie ist es einem Andern gelungen, und 
ich habe sie Alle erwürgen müssen. Der 
eine Haufen Geld ist nun dein, den an¬ 
dern aber theile unter die Armen. Gött¬ 
licher Mensch, du hast mich erlöst!" 
Darauf verschwand das Männchen. Der 
Bursche aber stieg die Treppe hinan 
und spielte in seinem vorigen Zimmer 
lustige Stücklein auf seiner Flöte. 
Da freute sich der Pachter, daß er 
ihn wieder spielen hörte und mit dem 
frühesten Morgen ging er auf das Schloß 
(denn am Tage durfte Jedermann hin¬ 
ein) und empfing den Burschen voller 
Freude. Dieser erzählte ihm die Ge¬ 
schichte, dann ging er hinunter in das 
Gewölbe, holte das Geld, that wie ihm 
das Männchen befohlen hatte, und ver¬ 
theilte die eine Hälfte unter die Armen 
und von einem Theil des andern Geldes 
ließ er das Schloß niederreißen und ein 
neues an die Stelle des vorigen auf¬ 
bauen, wo der Musikant nun als ein 
reicher Mann wohnte. 
31. Die drei HochzeiLgäste. 
(Thiermärchen.) 
Es waren einmal in einem Dorfe 
drei Hofhunde, die hielten gute Nach¬ 
barschaft miteinander. Da vernahmen sie 
einmal, daß eine große Bauernhochzeit 
sein sollte, zu welcher Alt und Jung 
geladen war, und es wurde auch schon 
gekocht und gebacken, gesotten und ge¬ 
braten, daß der Geruch durchs ganze 
Dorf zog. Die drei Hunde waren auch 
beisammen und rochen den feinen Dunst 
und rathschlagten, wie auch sie zur Hoch¬ 
zeit gehen wollten, um zu sehen, ob 
nichts für sie abfallen werde. Aber um 
unnützes Aufsehen zu vermeiden, beschlos¬ 
sen sie, nicht gleich alle drei auf einmal 
hinzulaufen, sondern einzeln,. einer nach 
dem andern. 
Der erste ging, machte sich in das 
Schlachthaus, erschnappte jählings ein 
großes Stück Fleisch und wollte damit 
seiner Wege gehen; allein er wurde er¬ 
wischt und empfing eine fürchterliche Tracht 
Prügel, nächstdem, daß man ihm das 
Stück Fleisch aus den Zähnen riß. So 
kam er hungrig und übelgeschlagen zurück 
auf den Hof zu seinen Nachbargesellen, 
die lungerten schon nach guter Nachricht 
und fragten: „Nun, wie hat es Dir er¬ 
gangen und gefallen?" Nun schämte sich 
aber der Hund, die Wahrheit zu geste¬ 
hen, daß sein Hochzeitmahl in einer 
scharfgesalzenen Prügelsuppe bestanden, 
und sprach deßhalb: „Ganz wohl! Aber 
es geht dort scharf her und muß Einer 
hart und weich vertragen können!" 
Als die Kameraden das hörten, ver¬ 
meinten sie, es werde über alle Maßen 
gegessen und getrunken auf der Hochzeit, 
und es fallen viele gute Bröcklein ab, 
harte und weiche, Fleisch und Bein, und 
alsbald rannte der zweite Hund in vollen 
Sprüngen nach dem Hochzeithaus, gerade 
in die Küche, und nahm, was er fand, 
— aber ehe er noch den Rückweg fand, 
war er schon bemerkt, und ward ihm 
ein Topf voll siedend heißes Wasser über 
den Rücken gegossen, daß es nur so 
dampfte, als er von dannen schoß, wie 
ein Pudel, der aus dem Wasser kommt; 
doch ob's ihn auch schrecklich brannte, er 
verbiß seinen Schmerz. Als er nun 
auf den Hof kam, wo die beiden Ka¬ 
meraden seiner harrten, fragten die gleich: 
„Nun, wie hat es dir gefallen?" — 
„Ganz wohl!" antwortete der Hund, 
„aber es geht dort heiß her, und muß 
Einer kalt und warm vertragen können!" 
Da dachte der dritte Hund: die Hoch¬ 
zeitgäste sind beim Schmaus in voller 
Arbeit, und kalte und warme Speisen
	        
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