Full text: Deutsches Lesebuch für Mittelschulen

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H. Bilder aus der Länder- und Völkerkunde. 
blauen Horizont ragen; vor uns im Norden 
erstreckt sich die Stadt mit ihren Thürmen, 
Kirchen, Palästen, Häuserreihen, zwischen 
denen allwärts das Baumwerk seine grünen 
Zweige hervorstreckt; und über der Stadt 
weg überblicken wir die in duftiger Ferne 
verschwimmende Ebene. Die Höhe selbst, 
halbkreisförmig eingebuchtet, dient als na¬ 
türlicher Sockel für die Ruhmeshalle, einen 
dorischen Tempel von Marmor, der dem 
Ehrengedächtniß jener Bayern bestimmt ist, 
welche sich bleibende Verdienste um ihr Va¬ 
terland erworben haben. Vor dem Gebäude 
steht auf erhöhtem Postamente der Koloß 
der Bavaria, jenes Kunstwerk des Erzgusses, 
welches wie an Größe, so an Schönheit 
Alles übertrifft, was die neuere Zeit Der¬ 
artiges hervorgebracht. In imponirender 
Stellung, — in der linken hoch erhobenen 
Hand einen Kranz, in der rechten einen 
Köcher mit Pfeilen haltend, rechts zur Seite 
den bayerischen Löwen — so steht die Rie¬ 
sengestalt da, hinschauend über Bayern und 
seine Hauptstadt. 1560 Centner wiegt die 
Erzstatue; ihre Höhe beträgt 54, bis zur 
Spitze des erhobenen Kranzes 66 Fuß. Auf 
66 Stufen steigt man durch das Fußgestell 
zur Figur und in dieser auf 60 eisernen 
Sprossen in den Kopf. In diesem sind 
zwei Ruhebänke angebracht und sechs Per¬ 
sonen finden da bequem Platz. Bei heller 
Witterung hat man durch die angebrachten 
Oeffnungen eine reizende Aussicht über 
das ganze Oberbayern. 
Und noch einen Gang wollen wir zu 
guter Letzte machen, einen Gang zu den 
40. Scheyern r 
die ehemaligen Stammburgen 
In der getreidereichen Ebene, welche sich 
östlich des Lech von Aichach über Schroben- 
hausen und Pfaffenhofen bis zur Isar und 
Donau hinzieht, finden wir die beiden Orte 
Scheyern und Wittelsbach, jedem Bayer 
ehrwürdig, weil dort die Wiege unseres ge¬ 
liebten Herrscherhauses gestanden. 
I. 
Freundlich blicken Dorf und Kloster 
Scheyern von einer anmuthigen Anhöhe 
herab auf die rings in üppiger Fülle sich 
ausbreitenden Wiesgründe und Saatfelder. 
Mehrere fischreiche Weiher, die ihren Was¬ 
serüberfluß der etwas über eine Stunde 
entfernten Ilm zusenden, erhöhen den Reiz 
des zwar einfachen, aber lieblichen Land¬ 
schaftsbildes. Wo sich jetzt das Kloster er- 
Todten. Er wird uns nicht gereuen, und 
von der Theresienwiese haben wir nicht weit 
zu den Friedhöfen. Nicht nur das macht 
uns diese Todtenselder interessant, daß hier 
die irdischen Reste vieler hochberühmter Män¬ 
ner ruhen; es seien nur genannt Görres, 
Fraunhofer, Westenrieder, Senefelder, Ga¬ 
belsberger, Schwanthaler — sondern auch 
der Reichthum an prachtvollen Grabstätten 
und Denkmälern, mit welchen dieser Fried¬ 
hof, wie kaum ein zweiter in Deutschland, 
verschönert ist. Nur die Salzburger Got¬ 
tesäcker können mit den Münchnern ver¬ 
glichen werden; dort wie hier vergißt man 
die Schauer des Todes, wenn man unter 
dem reichen Blumen- und Blätterschmucke 
und den sinnigen, von Künstlerhand ge¬ 
schaffenen Bildern der einstigen Auferstehung 
umher wandelt. Auch für Münchens Fried¬ 
höfe gilt, was Nicol. Lenau, Deutschlands 
tiefsinnigster Dichter, vom Salzburger so 
ergreifend gesungen: 
O schöner Ort, den Todten auserkoren 
Zur Ruhestätte für die müden Glieder! 
Hier singt der Frühling Auferstehungslieder, 
Vom treuen Sonnenblick zurück beschworen. 
Wenn alle Schmerzen auch ein Herz durchbohren, 
Dem man sein Liebstes senkt zur Grube nieder, 
Doch glaubt es leichter hier: wir seh'n uns 
wieder, 
Es sind die Todten uns nicht ganz verloren. 
Der fremde Wandrer, kommend aus der Ferne, 
Dem hier kein Glück vermodert, weilt doch gerne 
Hier, wo die Schönheit Hüterin der Todten. 
Sie schlafen tief und sanft in ihren Armen, 
Worin zu neuem Leben sie erwärmen, 
Die Blumen winkens, ihre stillen Boten. 
nd Wittelsbach, 
des bayerischen Königshauses. 
hebt, stand einst eine feste Burg, das 
Stammhaus der Grafen von Scheyern. 
Nach der Meinung einiger Geschichtsforscher 
soll schon der deutsche König Arnulf, Karl¬ 
manns Sohn, das Schloß gegründet haben; 
nach der Ansicht anderer erst Herzog Arnulf, 
Sohn des in der Preßburger Schlacht ge¬ 
fallenen Markgrafen Luitpold. Wie dem 
auch sei, so viel steht fest, daß Kaiser Otto I. 
den Enkel Luitpolds, Arnulf, zum Pfalz¬ 
grasen von Bayern ernannt, und daß dieser 
den Namen Gras von Scheyern geführt 
hat. Es ist also unser Herrscherhaus nach 
seiner Abstammung eines der ältesten und 
ehrwürdigsten in Europa. Schon aus jenen 
Tagen knüpfen sich wichtige Erinnerungen 
an Scheyern. Die ungarischen Königstöchter 
Agnes und Beatrix empfingen da vor ihrer
	        
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