VII. Die Germanen. Zweites Kapitel. 73
Westen des Reiches, beide unter Vormundschaft, und es entsteht
hierdurch wider die Absicht des Theodosius eine bleibende Teilung 398.
des Reiches in ein oströmisches, orientalisches (oder griechisches, by-
zantinisches) und in ein weströmisches oder occidentalisches.
Germanische Völker nehmen nach und nach die Provinzen
des weströmischen Reiches in Besitz, einen römischen Kaiser eine
Zeitlang dem Namen nach noch anerkennend. Die Zwietracht der
beiden Reichsverweser führt nämlich bald zu Feindseligkeiten
zwischen den getrennten Reichsteilen und öffnet den Westgoten unter
König Alarich den Weg nach Oberitalien. Nachdem der mißtrauische
Honorius den Reichsverweser Stilicho, der Italien tapfer geschützt,
hatte töten lassen, erobert und plündert Alarich Rom, zieht nach 410.
Unteritalien, um von da aus Afrika zu erobern, stirbt aber plötzlich in
Cosenza, worauf sein Volk in Südgallien und Spanien das West-
gotenreich mit der Hauptstadt Toulouse gründet. Der römische
Statthalter Astius in Gallien kann gegen Westgoten, Franken, Ale-
mannen und Burgunder für das römische Reich nur den Strich zu
beiden Seiten der Seine zwischen Loire und Maas behaupten. Auch
in Britannien beginnen die Germanen ihre Eroberungen: bedrängt
durch Picten und Scoten von Norden her, geben sich die Briten in
den Schutz angelsächsischer Seekönige und bieten ihnen Land und
Sold; die siegreichen Angelsachsen aber ziehen neue Scharen ihres
Volkes nach, unterwerfen sich die Briten und gründen in Britannien Von
sieben angelsächsische Königreiche. Während in Gallien alles in449
wildgärender Bewegung ist, führt Attila, der Hunnenkönig, ein gewal- an'
tiges Heer in das Herz Galliens. Da gelingt es Astius, durch Ver-
einigung der Römer und mitbedrohten Westgoten und salischen Franken
auf den weiten Ebenen bei Chalons an der Marne in einer mörde-451.
tischen Schlacht den gefürchteten Attila zum Rückzug zu zwingen und
Europa vor hunnischer Barbarenherrschaft zu bewahren. Nachdem
darauf Attila in Italien eingebrochen, sich aber nicht nach Rom
gewagt, ereilt ihn baldiger Tod. Mit ihm sinkt die Macht der
Hunnen, und sie kehren in die Steppen Asiens zurück. Astius aber
fällt durch Mörderhand, und Italien ist wieder ohne Schutz.
Bereits haben die Vandalen unter Geiserich von Spanien429.
her, gerufen vom römischen Statthalter in Afrika, hier ein vandalisches
Reich mit der Hauptstadt Karthago gegründet, dann Rom mit van-
dalischer Wut geplündert. Die weströmischen Kaiser sind nur noch
ohnmächtige Werkzeuge der Oströmer oder germanischer Fürsten. Da
gründet Odoaker an der Spitze germanischer Kriegerscharen im römi-476.
schen Solde sich in Italien ein Königreich, und mit der Absetzung
des letzten römischen Kaisers Romulus Augustulus ver-
schwindet der letzte Schatten eines weströmischen Reiches. Zehn Jahre
später dringt Chlodwig, ein Fürst der salischen Franken, von Belgien486.
her in Gallien weiter vor, besiegt den Statthalter des hier noch vor-