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Und wie sie so durchs Fenster sah
in die Husumer Bucht, was sah sie da?
10 Die Ufer waren von Schnee so weiß,
die See stand fest als blankes Eis,
und über das weit gefrorne Meer
jagt alles auf Schlittschuh'n hin und her;
ein jeder schwingt sich auf seine Weise,
is die ganze Stadt schien auf dem Eise.
Es war ein Gewimmel und ein Gelauf,
man stellte Zelt' und Buden auf;
auch fuhren auf Schlitten die Knaben die Frauen,
die waren geputzt wie zum Feste zu schauen.
2o Das muntre Volk im jubelnden Reigen
bedünkt Old Mütterchen gar eigen:
Wo neulich noch schlugen und tobten die Wogen,
ward wie mit Flügeln auf Spiegeln geflogen;
wo sonst nur schwammen Schiff und Fische,
2s stellte man heute Bänke und Tische;
man schmauste und trank und sang und sprang,
es wurde keinem die Weile lang.
Da dacht' in ihrer Einsamkeit
old Mütterchen längstvergangner Zeit,
3o wo sie die gleiche Lust erfahren,
eh' sie gelangt zu zitternden Jahren,
wie mancher junge schmucke Gesell
sie einst gefahren im Schlitten schnell.
Sie dacht' auch des Gatten und ihrer Knaben,
zs die ungestümes Meer begraben,
wie heimgegangen all ihre Lieben
und sie zuletzt so einsam blieben.
Da seufzte sie: „Gott vergisset mein
und läßt mich hier ganz seelenallein,
ich muß hier als ganz unnütz sein;
den Fremden schaff' ich nur Beschwerden,
was soll ich noch fürder auf dieser Erden?“
Doch wie old Mütterchen das spricht,
straft sie ihr Herz: O fündige nicht!
6 Der Ratschluß Gottes ist verborgen,
laß ihn allein bestimmen und sorgen.
In solchen und anderen Gedanken
blickt weiter sie auf das Schwingen und Schwanken