Full text: Ausgewählte Lesestücke aus deutschen prosaischen Musterschriften für höhere Bürgerschulen und die unteren Klassen der Gymnasien (Theil 2)

So 
Dritter Abschnitt. 
scheint dir zu schwer? O Herr! und du schauderst 
nicht bei dem Gedanken an den Tag, an welchem du 
vor deinem und unserm Richter erscheinen Wirst? an 
welchem nicht blos dieser Sack voll Erde, sondern 
das ganze Grundstück mit allen Paliasten und Thür¬ 
men, welche du darauf erbauen willst, mit allen 
Thränen, mit welchen die Unglücklichen es durch 
deine Veranlassung benetzt haben, zur weit unerträg- 
lichern Last werden dürsten? — Du bist hienieden 
unbeschrankter Herrscher; em Wink von dir verkürzt 
des Menschen Leben, und ein einziges Wort stürzt 
Tausende m Unglück; aber — es kommt eine Zeit, 
in welcher du mit deinem Sklaven in gleichem Range 
siehst!" — »Mit meinem Sklaven in gleichem Ran¬ 
ge?" wiederholte der Kaliph. »Ich irre mich," 
faßte Denbächir wieder das Wort, „dein größrer 
Vorzug hier wird dir zur größern Qual gereichen. 
Du hast hier einen ungleich größern Wirkungskreis, 
folglich auch ungleich mehr zu verantworten/ Jeder 
deiner Unterthanen hat nur von dem Rechenschaft 
abzulegen, was er für sich besaß, und Du von altem, 
was wir insgesammt besitzen. Leb' wohl — verzeihe 
deinem Sklaven die Verwegenheit." — 
Benbächir wollte sich entfernen. Der Kaliph 
hielt ihn zurück. »Dir verzeihen?" sagte er; »ich 
bin dir Dank schuldig, daß du mich von einer großen 
Ungerechtigkeit zurück hältst, die ich schon halb be¬ 
gangen habe? — Rufe die Witwe! Sie nehine ihr 
väterliches Erbtheil zurück, und um sie für die Thrä¬ 
nen zu entschädigen, die ihr meine Härte ausgepreßt 
hat, soll ihr Grundstück von meinen Gärten, welche 
angränzen, um eben so viel vergrößert werden. Und 
Du verläßt nie wieder meinen Hofstaat, um Gele¬ 
genheit zu haben, dich angemessen zu belohnen. Die 
Regenten bedürfen einen freundschaftlichen Begleiter, 
der nichts scheut, der Wahrheit zu opfern; der sie 
auf ihre Fehltritte aufmerksam macht und davon zu¬ 
rückhält; du sollst der meinige in Zukunft seyn." 
7. Unttr-
	        
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