94
eine Natter, in der andern Früchte und Blumen, besonders den Lotus und Granat¬
apfel. Ihnen zur Seite sind männliche nt# weibliche Gestalten, Riesen und
Zwerge, welche Diener zu sein scheinen. — Die Seiten des Tempels sind mit ähn¬
lichen Gruppen besetzt, welche in bestimmten Entfernungen von einander stehen
und auf die Eingänge stoßen, die aus den oben erwähnten Säulenreihen gebildet
werden, so daß man, bis man nahe hinzukommt, immer nur Eine Gruppe auf ein¬
mal sieht. Die Regelmäßigkeit und das Ebenmaaß des Ganzen ist anffallend. Diese
Figuren befinden sich größtentheils in anmnthigen Stellungen; aber die riesenhaften
zeigen keine ungewöhnlich starke Muskeln. Nur wenige haben in den Gesichtszügen
die Spuren eines entschiedenen Charakters, vielmehr ein schläfriges Ansehen und
gleichen mehr der matten ägyptischen Bildhauerarbeit als dem lebenvollen Werke
des griechischen Meissels. Der Engländer Forbes, begleitet von einem Künstler,
berichtet: „Von dem Glanze der tropischen Sonne während des Weges vont Lan¬
dungsplätze bis zum Tempel war das Auge ganz geblendet, und es dauerte einige
Zeit, bis es sich an das Halbdunkel dieser unterirdischen Gemächer gewöhnte und
die Gegenstände bei dem schwachen Licht hinlänglich zu erkennen vermochte. Wir
blieben einige Minuten stehen, ohne mit einander zu sprechen, ja ohne uns nur
einander anzusehen. Nachdem wir uns an das Dämmerlicht der Höhle gewöhnt
hatten, beharrte mein Gefährte fort und fort bei seinem Schweigen. Endlich er¬
klärte er: Wie groß auch der Schwung seiner Einbildungskraft vorher gewesen, so
sei er doch bei dem Anblicke dieser ganz außerordentlichen Kunstwerke so in Erstau¬
nen und Entzücken versetzt worden, daß er sich selbst vergessen habe. Italiens und
Griechenlands bewundertste Kunstwerke habe er gesehen; aber nie habe irgend et¬
was ihn so außerordentlich ergriffen."
Aehnliche, noch größere Tempelgrotten finden sich auf der nahen Insel Sal¬
fe tte. Der hohe Berg, welchen diese Insel enthält, ist von einer eben so harten
Steinart als der auf Elephcmte, und doch ist er allenthalben ausgehöhlt. Der große
Tempel bildet ein längliches Viereck, 40 Schritt in der Breite, 100 in der Länge und
einer verhältnißmäßigen Höhe, ganz im massiven Felsen. Außer den 4 Säulen am
Eingänge zählt man 30 int Innern, 18 haben Säulen-Capitäle mit Elephanten. Am
Ende der Pagode, die in einer Rundung zuläuft, ist eine Art von Kuppel, eben¬
falls, wie alles Andere, aus dem Felsen gehauen. Die hohen Säulen und die ge¬
wölbte Decke dieses Haupttempels (zwei andere scheinen an Größe kaum nachzu¬
stehen und haben sogar mehrere Stockwerke übereinander) gewähren einen weit er¬
habeneren Anblick als die Pagode auf Elephante, obgleich diese viel reicher ist an
Statuen und halberhabener Arbeit. Die Vorhalle, mit dem Tempel von gleicher
Höhe und Breite, ist reich verziert. Auf jeder Seite eine große Nische, mit einer
kolossalen, gut ausgeführten Statue; dem Eingänge gegenüber sind kleinere Figuren
und Gruppen: alles noch in gutem Zustande. Das Aeußere entspricht an Gro߬
artigkeit dem Innern, ist aber durch die Zeit beschädigt; an den viereckigen Pfeilern
des Einganges sind lange Inschriften in einem Alphabete, welches mit keinem andern
dort gebräuchlichen Ähnlichkeit hat.
Weiter den Berg hinauf leitet eine in Felsen gehauene Treppe, die bis zum
Gipfel emporsteigt und zu kleineren Höhlen führt, von denen die meisten aus zwei
Gemächern, einer Halle und in Felsen gehauenen Bänken bestehen. Mit jeder ist
eine in den Felsen gehauene Cisterne, 3 Fuß im Würfel haltend, zur Aufbewahrung
des Regenwassers verbunden. Sie dienten wahrscheinlich zum Aufenthaltsorte der
Brahminen und ihrer Zöglinge, damals, als Indien Pstegerinn der Künste und Wis¬
senschaften war, während die Völker Europa's sich noch in Unwissenheit und Bar¬
barei befanden.