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Nicht minder wichtig ist eine andere Eigenschaft der Luft für die Erscheinungen,
welche wir Wetter nennen. Wenn man ein ganz trockenes, kaltes Glas in ein warmes
Zimmer bringt, so beschlägt es, d. h. es bedeckt sich plötzlich mit kleinen Wasser¬
tröpfchen, und zwar um so starker, je größer der Unterschied der Wärme der Zim¬
merluft oder Kälte des Glases ist. Woher kommt dieses Wasser? Sicher nicht
aus dem Glase, sondern aus der Luft der Stube. Der Unterschied der Tem¬
peratur der Lust in der Nähe des Glases, und der Lust in der Stube macht das vor¬
her unsichtbare, lustförmige Wasser plötzlich in kleinen Tropfen sichtbar und zeigt
zugleich das Gesetz, daß die Lust um so mehr unsichtbares Wasser enthalten kann,
je wärmer sie ist. Dieses ganze Verhältniß ist die Ursache der Wolkenbildung, des
Regens, Schnee's rc. Beide Betrachtungen, sowohl über die Ursachen des Windes
als über die Bildung der wäßrigen Niederschläge der Atmosphäre, führen uns zu
einer Kraft, von welcher beide Erscheinungen wiederum abhängig sind, nämlich zur
Wärme. Suchen wir nach der allgemeinen Quelle derselben, so werden wir zur
Sonne gewiesen, welche auf einfache, wunderbare Weise an der Erde einen bestän¬
digen Kreislauf der Stoffe unterhält, wodurch allein das Leben der organischen
Wesen, der Thiere und Pflanzen möglich gemacht wird. Sie spendet ihren Segen
im höchsten Maaße, wenn ihre Strahlen senkrecht den Erdboden treffen; und dies ge¬
schieht wegen der Stellung der kugelrundeil Erde zur Sonne nur in einer schmalen
Zone zu beiden Seiten des Aeguators, im Ganzen etwa riur in einem Viertel der
ganzen Länge vom Südpol bis zum Nordpol. Um diesen Gürtel nimmt ihre Ein¬
wirkung so schnell ab, daß sie schon durchschnittlich im 70" nördlicher und südlicher
Breite nicht im Stande ist, den gefrornen Boden tiefer als wenige Fuß aufzuthauen,
und im 800 auch die Oberstäche sogar im höchsten Sommer von unschmelzbarem
Eise starrt. Der Aeguator selbst liegt zweimal im Jahre, zur Zeit der Frühlings¬
und Herbst-Tag- und Nachtgleiche, unter ihren senkrechten Strahlen und ebenfalls
jeder Ort in der eben bezeichneten Zone, aber so, daß die Zeitpunkte immer näher
zusammenrücken, bis sie unter den Wendekreisen zusammenfallen, welche nur einmal
im Jahre, und zwar der Wendekreis des Krebses zur Zeit unsers längsten Tages,
der des Steinbocks zur Zeit unsers kürzesten Tages, von den senkrechten Strah¬
len der Sonne durchwärmt werden.
Wenn der Schiffer auf seiner Fahrt nach Süden mitten im Atlantischen Oceane
sich dem Aeguator nähert, so ergreift oft bange Furcht die ganze Mannschaft.
Früher oder später, je nach der Jahreszeit, wird der günstige Wind, der ihn bis
dahin getragen, schwächer und schwächer und schweigt anfänglich auf kurze Zeit
und zuletzt gänzlich. Um ihn breitet sich das Meer aus, eine endlose Spiegelfläche.
Das vor Kurzem noch einem Vogel gleich dahin fliegende Schiff liegt festgebannt auf
dem flüssigen Krystall. Die senkrecht herabfallenden Strahlen der Sonne durch¬
glühen den engen Raum, auf welchem die Menschen eingeschlossen sind. Das^Ver-
deck brennt durch die Sohlen der Schuhe. Ein erstickender Dunst füllt die Räume.
Schon vierzehn Tage liegt der stolze Beherrscher der Meere unbeweglich aus der¬
selben Stelle. Der Vorrath des trinkbaren Wassers ist verzehrt. Glühender Durst
heftet die lechzende Zunge an den Gaumen. Mit wilden, morderfüllten Blicken der
Verzweiflung sieht jeder seine Leidensgefährten an. — Die Sonne sinkt hinab, in
eigenthümlichem Kupferroth leuchtet der abendliche Himmel. Und mit der emporstei¬
genden Nacht erhebt sich auch eine schwarze Mauer im Osten, ein leises, schrilles Pfeifen
tönt aus der Ferne, von woher ein weißer Schaumstreifen über den schwarzen Ocean
heranzieht. Das Schiff bewegt sich und schwankt auf den unregelmäßig sich erhe¬
benden Wellen; aber noch hängen die Segel schlaff und klappen unheimlich an die
Stangen. Da plötzlich raset der Sturm mit furchtbarem Brüllen heran, kreischend
zerreißen die Segel und stiegen in Fetzen davon; ein lautes Krachen, ein zweites, und