Full text: Für die dritte Bildungsstufe (Theil 3)

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der Hauptmast fliegt über Bord, mit Anstrengung gelingt es der Mannschaft, seine 
letzten Stricke zu durchhauen, und nun fliegt das Schiff auf dem Ocean dahin, bald 
hoch aus den Rücken der Wellen gehoben, bald hinabgeschleudert in die Tiefe, daß 
alle Rippen beben und kreischen, als wollten sie von einander weichen. Endlos rollt 
der Donner, die Blitze zucken ohne Aufhören durch die empörte Atmosphäre. In 
Strömen statt in Tropfen stürzt der Regen herab. Zehnmal glauben sich die Schiffer 
verloren, wenn der zitternde Bau in den Abgrund der Wellen hinabstürzt, und immer 
wieder erhebt er sich. Endlich laßt der Sturm nach, einzelne Stöße folgen immer 
seltener, die Wellen ebnen sich, und wenn die tröstende Sonne in Osten heraufsteigt, 
beleuchtet sie dasselbe trostlose Bild wie am vorigen Tage. Spiegelglatt dehnt sich wie¬ 
der die endlose Fläche aus, nach acht Tagen ist der gesammte Wasservorrath verzehrt 
und abermals schauen die stumm herumschleichenden Gespenster einander mit mordgie¬ 
rigen Blicken an. Ein neuer Sturm, eine neue Windstille und kn diesem schrecklichen 
Wechsel fort, bis das Schiff endlich jenseit des Aeguators wieder in die Region der 
friedlichen Passate gejagt ist. Hunderte von Schiffen sind in dieser Region der Kal¬ 
men oder Windstillen zu Grunde gegangen, Hunderte haben durch den schrecklichsten 
Tod des Berdurstens ihre Mannschaft verloren. In dieser Region wird das Wetter 
gemacht, wie in Frau Hollens Höhle, für den ganzen Erdkreis. Die Sonne, welche 
sich zweimal im Jahre senkrecht über dieser Region befindet und sich nicht weit genug 
entfernt, daß eine Abkühlung eintreten könnte, durchglüht hier die Atmosphäre so 
sehr, daß sie durch die Hitze dünner, leichter geworden und in einem fortwäh¬ 
renden aufsteigenden Strome sich befindet. Gleichzeitig verdunstet von der ungeheuern 
Fläche des atlantischen und stillen Oceans eine namenlose Menge Wassers, welche 
sich in der heißen Luft verbreitet und emporsteigt. Oben aber kühlt sie sich mehr 
und mehr ab, oft plötzlich um viele Grade, und ein großer Theil der mitgenom¬ 
menen Dünste schlägt plötzlich in Tropfenform nieder. Dadurch entstehen große 
Veränderungen in der Elektrizität der Atmosphäre und bilden die furchtbaren, schnell 
entstehenden und vergehenden Gewitterstürme in der Gegend, die sonst wegen des 
beständigen Aufwärtssteigens der Luft völlig windstill erscheint. 
Anders gestaltet sich die Sache an den beiden Grenzen dieser Zone. Die in 
Folge der Hitze fortwährend aufsteigende Luft läßt einen Raum zurück, der nur 
äußerst verdünnte Luft enthält, und in diesen strömt von Norden und Süden be¬ 
ständig die kalte Lust mit großer Heftigkeit und Stetigkeit hinein. Dies ist der 
eine Wind der Erde, den wir, weil er als Nord- und Südwind von beiden Polen 
fließt, Polarstrom nennen. Da die Lust, welche mit der Erde sich von Westen nach 
Osten bewegt, am Aeq-uator in jeder Stunde über 200 Meilen macht, während sie 
fick) an den Polen mehr um sich selbst dreht, so muß längere Zeit vergehen, ehe jene 
Winde dieselbe Geschwindigkeit angenommen, sie wird gegen die dort befindliche Luft 
zurückbleiben, während die Erde unter ihr gleichsam weggleitet, oder sie wird als 
Luft erscheinen, die sich von Osten nach Westen bewegt, d. h. als Ostwind. Wen¬ 
den wir dies auf die Polarströme an, so ergiebt sich, daß diese, je langer sie wehen, 
je mehr sie sich dem Aequator nähern, um so mehr als Nordost- und Südostwinde 
erscheinen müssen. In der That zeigt sich uns zu beiden Seiten der Region der 
Windstillen und Stürme eine Region, in welcher Jahr aus Jahr ein, hier ein 
Ostnordost-, dort ein Ostsüdostwind weht, der allen Schiffern bekannte Passat- 
w i n d, durch den Kolumbus' Mannschaft in Schrecken gesetzt wurde, weil er ihnen die 
Möglichkeit der Rückkehr anzuschneiden schien. Bemerken wir nun noch, daß die 
Polarlust die schwerere, kältere, trocknere ist, daß also beim Nord, Nordost und 
Ost (alle sind ja dieselben Winde) das Barometer steigen, das Thermometer sinken 
und der Himmel heiter werden muß, so haben wir alle wesentlichen Eigenschaften 
des einen Hauptwindes, des Polarstromes, genannt. 
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