176 Siebter Zeitraum. Vom Wests. Frieden bis zur Thronbesteigung Friedrichs d. Gr.
Vorblick in die geschichtliche Entwicklung der nächsten hundert
Jahre (1640—1740).
In dem Jahrhundert nach dem Dreißigjährigen Kriege stieg Brandenburg-
Preußen zu einer alle deutschen Territorien mit Ausnahme Österreichs weit über¬
ragenden europäischen Machtstellung empor, und zwar in folgenden drei
Stufen: Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm (1640—1688) verschmolz
die verschiedenen Landesteile zu einem einheitlichen Staate und schuf ein
tüchtiges Heer, mit dem er den Ruhm der brandenburgischen Waffen im Kampfe
gegen die Feinde Deutschlands (Polen, Schweden, Franzosen) begründete
und die Selbständigkeit seiner Politik gegenüber dem Kaiser und allen andern
Mächten sicherte; sein Sohn Friedrich III. (1688—1713) erwarb dem jungen
Staate den Königstitel und mehrte den Ruhm des brandenburgischen Heeres;
dessen Sohn Friedrich Wilhelm I. (1713—1740) verschaffte durch die
innere Kräftigung des Staates (Ausbildung des Heerwesens, Schöpfung
einer mustergültigen Verwaltung) seinem Nachfolger die Mittel, um dem könig¬
lichen Namen einen entsprechenden Inhalt zu geben und Preußen zu einer
europäischen Großmacht zu erheben.
Bevor die Hohenzollern dieses Ziel erreichten, hatten die Habsburger
durch die Wiedereroberung Ungarns (1687) ihrem Donaustaat eine den
übrigen Großmächten 1 (Frankreich, England und Schweden, an dessen Stelle
bald Rußland trat) ebenbürtige Stellung errungen. Dagegen machte die Ver¬
schmelzung der einzelnen Landesteile, die von ganz verschiedenen Volksstämmen
(Deutschen, Slawen, Romanen, Magyaren) bewohnt waren, zu einem festgefügten
Staate nur langsame Fortschritte. In dem aufstrebenden Preußen ahnte das
Haus Habsburg den künftigen Nebenbuhler, der ihm die herkömmliche
Stellung in Deutschland streitig machen könnte, sah sich aber dennoch durch die
Verhältnisse zu wichtigen Zugeständnissen genötigt.
1ßi§° 1. Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst.
1688 (Zeitgenossen: Kaiser Leopo l d I. 1658—1705 und Ludwig XIV. 1643—1715.)
A. Jugend unb Thronbesteigung. Friebrich Wilhelm würbe im Jahre
1620 geboren. Von seinem 15. bis zum 18. Lebensjahre weilte er zu
feiner weiteren Ausbilbung in Hollanb. Hier lernte der hochbegabte
Jüngling besonders frembe Sprachen unb Geschichte; auch hatte er
bei dem Kriege zwischen Spanien unb Hollanb (S. 140 f) Gelegenheit, sich
unter ber Leitung seines Vetters Friebrich Heinrich von Oranien mit bem
Kriegswesen besannt zu machen. Tiefen Einbruck machten auf ihn die
Reinlichkeit und bie Pracht der Städte, der sorgfältige Anbau des
Landes, bie vielen Kanäle, die Regsamkeit unb ber Unter-
1 Gegenwärtig gibt es in Europa sechs Großmächte: das Deutsche Reich,
Österreich-Ungarn, Italien, Rußland, Frankreich und England.