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bereichert heim; denn er brachte die Erfahrung mit, daß alle Herrlichkeit die¬
ser Welt nichts ist, als ein glänzendes Elend.
Um diese Zeit geschah es, daß über die böhmischen Brüder wieder eine
schwere Verfolgung erging und viele von ihnen aus ihrem Vaterlande fliehen
mußten. Zinzendorf nahm die Flüchtigen auf und wies ihnen Wohnsitze auf
seinem Gute am Hutberge an. Hier bauten sie sich an. Den Namen des
Berges aber deuteten sie geistlich und nannten ihre neue Heimath „Herrnhut",
als die unter der Hut des Herrn stehe. Da die Zahl der Flüchtlinge sich
rasch mehrte, gab Zinzendorf ihnen eine Ordnung, nach welcher sie leben
sollten. An der Spitze der Kolonie sollte die Versammlung der Ältesten stehen.
Die ganze Gemeinde wurde nach Alter, Geschlecht und Lage in Abtheilungen
getheilt und für jede Abtheilung Tracht und Farbe genau vorgeschrieben,
gerade wie es bei den Mönchen und Nonnen im Kloster der Fall ist. Abends
und Morgens kamen sie zu gemeinschaftlicher Andacht zusammen. Aus Kampf
und Streit der Welt zogen sie sich ganz zurück, damit sie nicht im seligen
Genuß der Gnade gestört würden. Die Treue im Geringen übten sie so
gewissenhaft, daß ihr Fleiß bis zu dieser Stunde berühmt ist. Von ihrem
Wohnorte Herrnhut heißt man sie gewöhnlich „Herrnhuter". Sie selbst
nennen sich Brüder und Schwestern, oder Brüdergemeinde. In ihrer Lehre
stehen sie den Lutherischen ziemlich nahe. Doch haben sie in manchen Stücken,
z. B. in der Lehre von der Kirche, die volle Wahrheit der Schrift nicht erfaßt.
Sie verbreiteten sich über Deutschland, Dänemark, England und selbst bis
nach Amerika hin und wurden wegen ihres stillen Wesens überall gerne gese¬
hen. Durch zwei Dinge insonderheit haben sie sich einen guten Namen in der
Christenheit erworben. Einmal haben sie in dem großen Abfall des verflossenen
Jahrhunderts unter Hohn und Spott den Glauben an Christum treu bewahrt
und mit Fleiß gepredigt, und sodann haben sie unter den Heiden durch Ver¬
kündigung des Wortes so treu gearbeitet und so Großes geleistet, daß sie
darin bis jetzt noch nicht übertrosfen worden sind.
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Es hat zu allen Zeiten Menschen gegeben, welche sich zu Richtern
über Gottes Wort gesetzt und die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufgehal¬
ten haben. Doch bewahrten sie immer noch irgend welche Achtung vor
den Grundlehren der Kirche und behielten auf die Dauer keinen grossen
Anhang. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts aber traten Männer auf,
die das Licht ihrer Vernunft priesen und es hoch erhoben über alles,
was Wort und Offenbarung Gottes heisst. Diese Rede gefiel allen wohl,
denen Christi Joch eine schwere Last gewesen war. Daher eilten viele,
sich aus den Banden des Evangeliums los zu machen und den Weg zu
betreten, der eine Narrheit vor Gott im Himmel ist. In kurzer Zeit
wurde der Unglaube so mächtig in der Christenheit, dass es schien, als
sei der Abfall gekommen und der Mensch der Sünde offenbar geworden.
Das Betrübendste dabei aber war, dass diejenigen, welche den Menschen
den einzigen Trost im Leben und Sterben raubten, sich einbildeten, sie
thäten der Welt einen Dienst daran.