Full text: Für die beiden unteren Klassen der Gymnasien und Realschulen (Teil 1, [Schülerband])

SS 
nicht unbegründet. Gar oft ließ sich aber eine bestimmte Ursache seines 
Verdrusses nicht erkennen, sondern allem Anschein nach ärgerte sich der Puter 
nur des Ärgers willen, wie das wohl hin und wieder auch bei Menschen 
vorkommt. 
Die zierlich weiß und grau gefleckten Perlhühner waren hübsche Tiere, 
doch von unliebenswürdiger Gemütsart, wie ihre Landsleute, die Cochinchina- 
Hähne, und noch händelsüchtiger. Ihrem streitbaren knatternden Rufe folgte 
nur zu rasch die kriegerische That. Ach, ihr Stammverwandter, der wach¬ 
same Verkünder des anbrechenden Morgens, der biedre Haushahn, mußte es 
zu seiner peinlichsten Überraschung erfahren! Dieser hatte bis dahin, daß 
die Perlhühner angeschafft wurden, ein mildes und gerechtes Regiment über 
das gesamte Volk der Hühner geführt. Eine zahlreiche Gesellschaft schöner 
Hennen umgab ihn, und ungeachtet des täglichen Eierverbrauchs im Hause 
fehlte ihm nicht der anmutige Segen des Familienglücks. Der Hahn that 
zwar zuweilen, als gingen ihn die Küchlein nichts an, sondern er lockte die 
Lieblingshenne und scharrte und kratzte nach Würmern für sie, daß der 
goldfarbne Federbehang seiner breiten Brust, die stolze Helmzier des roten 
Wackelkammes und das Gefieder seiner stämmigen Keulen nur so zitterte. 
Aber das väterliche Herz lachte ihm doch im Leibe beim Anblick des muntern 
Treibens, wenn die Kleinen ihr Futter erhielten — gehackte junge Resseln 
mit süßem Käse oder eine Handvoll Grütze, die die Kinder über sie aus¬ 
streuten. Das war ein Kribbeln und Krabbeln, ein Laufen und Fliegen, 
Hüpfen, Drängen, Sammeln und Picken ohne Ende! Selbst durch die ihnen 
zum Saufen hingestellte Schale mit Wasser rannten sie, stießen sie halb um 
oder schleppten schwarze Erde hinein. Wuchsen die Küchlein nun heran und 
es kamen Streitigkeiten unter ihnen vor, da schritt der alte Hahn ein und 
setzte dem, der angefangen hatte, den Kopf zurecht, ohne sich mehr zu ereifern, 
als nötig war zu gehöriger Wirksamkeit der Strafe, und mit demselben 
Gefühl überlegener Würde duckte er gelegentlich einen der jüngeren Hähne, 
der sich sein hausväterliches Mißfallen zugezogen hatte. So war es vordem 
gewesen, aber es sollte ganz anders kommen! 
Der Hahn war auch Wetterprophet; wenn er krähte, dann regnete 
es manchmal, und manchmal regnete es nicht. Aber schwerlich hatte er 
voraussehen können, was er jetzt erdulden mußte. Der Perlhahn fing stets 
Krieg mit ihm an und trieb ihn nach kurzer Gegenwehr regelmäßig in die 
Flucht. Alle Küchenmägde nahmen für den Haushahn Partei gegen den 
Perlhahn, den sie ein verwünschtes buckliges Tier nannten. Das machte 
ihm freilich wenig Eindruck, nur wenn Susanna, ohne viel Worte zu machen, 
ein Holzscheit nach ihm hinschleuderte, dann ergriff er die Flucht. Erst sein
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.