Full text: Neuere Geschichte von 1648 - 1888 (Teil 3)

§ 14. Die französische Revolution bis zum 20. September 1792. 81 
des Volkes, eine Art von Jdealwesen, kann nie irren. Er steht über allen 
Trägern der öffentlichen Gewalt und tritt in der Volksversammlung in die 
Erscheinung. Sein Zweck ist die Wohlfahrt aller, er beschränkt die Freiheit 
der einzelnen, setzt aber die völlige Gleichheit aller voraus. Alle Staats¬ 
verfassungen beruhen auf Verträgen, können also jederzeit aufgehoben werden; 
sie müssen es, wenn die Wohlfahrt aller unter ihnen leidet. Durch diese 
Lehren wurde der ausaugs weniger beachtete „Contrat social“ der Kate¬ 
chismus der Revolution. 
Die Physiokraten (der Arzt Quesnay) lehrten gegenüber dem 
herrschenden Merkantilismus, daß die Landwirtschaft allein Güter erzeuge, 
während der erste große Nationalökonom, der Edinburger Professor Adam 
Smith (1723 — 1790), darlegte, daß allein die Arbeit die Quelle alles 
Reichtums sei. Er forderte daher für die Arbeit Beseitigung aller Hemm¬ 
nisse und eröffnete dadurch den Kampf gegen jede Art von Schutzzollsystem. 
So lernten alle Gebildeten in der bestehenden staatlichen und wirtschaft¬ 
lichen Unfreiheit des Volkes die Ursache alles Elends sehen. 
2. Die Vorgeschichte der Revolution. Den ersten Widerstand erfuhr 
die Regierung noch unter Ludwig XV. durch die Parlamente, die höchsten 
Gerichtshöfe des Landes, die sich öfter weigerten, königlichen Edikten durch 
Eintragung in die Gesetzsammlung Geltung zu verleihen. Indessen dieser 
Widerstand war durchaus selbstsüchtig und wurde leicht überwunden. Das ^ 
Pariser Parlament war deswegen endlich aufgelöst worden. Ludwig XVI., 
der alles gut machen wollte, stellte es aber wieder her. 
Jnfolge der schlechten Finanzwirtschaft und der Verschwendung des 
Hofes wuchs die Staatsschuld mit einem jährlichen Fehlbeträge von 
fast 200 Millionen Frcs. übermäßig. Der Hofhalt, der in allem an 
5000 Personen umfaßte, verbrauchte jährlich etwa 50 Millionen; dazu 
kamen noch Millionen an Gnadengeschenken und Pensionen. Für Brücken v 
und Wege wurden dagegen nur 4, für wissenschaftliche Anstalten 1 Million 
Frcs. ausgegeben. Nunmehr suchte der einsichtige, redlickie^Turaot ^Minister 
1774—1776) durch Verbesserungsvorschläge die Landwirtschaft und die Lage 
■ifer Bauern zu heben und den Steuerdruck zu mildern. Als er aber eine 
olksvertretuug durch Delegierte zu schaffen trachtete, verdächtigte ihn die 0^4 r; • 
ofpartei dem Könige, und er wurde ungnädig entlassen. Sein Nachfolger*^- SS* 
urde 1777 der Genser Bankier Necker, ein geschickter, aber eitler Empor- 
kömmling, ohne staatsmännische Begabung; er verließ die Bahn der Reformen. 
verschaffte zwar dem Staate durch seinen Kredit Geld (500 Miüionen^^^w^- ! 
v-t^y^5rc§- auf Anleihe), aber die Schulden wuchsen. Zum erstenmal rief er / 
rch den 1781 veröffentlichten, aber schön gefärbten und undurchsichtigen 
^/^^echenschaftstieticht (compte rendu) über die Finanzverwaltung die 
t**^^öffentUche Meinung an, und in den von ihm berufenen Provinzial- und 
Arrondissementsversammlungen öffneten kühne Redner dem Volke die 
Augen über die grauenvollen Mißstände. Necker mußte schon 1781 ab¬ 
gehen. Ähnlich erging es 1787 dem leichtherzigen Calonne, der zuletzt 
von der berufenen Versammlung aristokratischer Notabeln völlig im Stich 
gelassen wurde. Das Pariser Parlament forderte die Einberufung der - 
Schenk-Violet, Lehrbuch. E. m. g / * 
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