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11. Ein Weiblein, grau von Haaren, 
Dort an dem Rocken spann; 
Sie hatte wohl nichts erfahren 
Vom strengen Spindelbann. 
Die Fürstin, die noch nimmer 
Gesehen solche Kunst, 
Sie trat in Weibleins Zimmer: 
„Wer bist du, mit Vergunst?" 
12. „Man nennt mich, schönes Liebchen, 
Die Stubenpoesie; 
Denn aus dem trauten Stübchen 
Verirrt' ich mich noch nie. 
Ich sitz' am lieben Platze 
Beim Rocken wandellos; 
Meine alte, blinde Katze, 
Die spinnt auf meinem Schoß. 
13. Lange, lange Lehrgedichte, 
Die spinn' ich recht mit Fleiß; 
Flüchsene Heldengedichte, 
Die haspl' ich schnellerweis'; 
Mein Kater mant Tragödie, 
Mein Rad hat lyrischen Schwung, 
Meine Spindel spielt Komödie 
Mit Tanzbelustigung." 
14. Die Fürstin that erbleichen, 
Als man von Spindeln sprach; 
Sie wollte flugs entweichen, 
Die Spindel sprang ihr nach; 
Und an der morschen Schwelle, 
Da fiel das Fräulein jach; 
Die Spindel auf der Stelle 
Sie in die Ferse stach. 
15. Was war das für ein Schrecken, 
Als man sie morgens traf! 
Sie war nicht mehr zu wecken: 
Sie schlief den Zauberschlaf. 
Ein Lager ward bereitet 
Im hohen Rittersaal, 
Goldstvffe drauf gebreitet 
Und Rosen ohne Zahl. 
16. So schlief sie in der Halle, 
Die Fürstin, reich geschmückt. 
Bald hatte die andern alle 
Der gleiche Schlaf berückt. 
Die Sänger, schon in Träumen, 
Rührten die Saiten bang, 
Bis in des Schlosses Räumen 
Der letzte Laut verklang. 
17. Die Alte spann noch immer 
Im stillen Kämmerlein; 
Es woben in jedem Zimmer 
Die Spinnen, groß und klein; 
Die Hecken und Ranken woben 
Sich um den Fürstenbau, 
Und um den Himmel oben, 
Da spann sich Nebelgrau. — 
18. Wohl nach vierhundert Jahren, 
Da ritt des Königs Sohn 
Mit seinen Jägerscharen 
Ins Waldgebirg' davon: 
„Was ragen doch da innen 
Ob all dem hohen Wald 
Für graue Türm' und Zinnen 
Von seltsamer Gestalt?" 
19. Am Wege stund gerade 
Ein alter Spindelmann: 
„Erlauchter Prinz, um Gnade! 
Hört meine Warnung an! 
Romantische Menschenfresser 
Hansen auf jenem Schloß, 
Die mit barbarischem Messer 
Abschlachten klein und groß." 
20. Der Königssohn verwegen 
Thät mit drei Jägern ziehn: 
Sie hieben mit den Degen 
Sich Bahn zum Schlosse hin. 
Gesenket war die Brücke, 
Geöffnet war das Thor; 
Daraus im Augenblicke 
Ein Hirschlein sprang hervor. 
21. Denn in des Hofes Räumen 
Da war es wieder Wald; 
Da sangen in den Bäumen 
Die Vögel mannigfalt. 
Die Jäger, ohn' Verweilen, 
Sie drangen mutig hin, 
Wo eine Thür' mit Säulen 
Aus dem Gebüsch erschien. 
22. Zween Riesen schlafend lagen 
Wohl vor dem Säulcnthor: 
Sie hielten, ins Kreuz geschlagen, 
Die Hellebarden vor! 
Darüber rüstig schritten 
Die Jäger allzumal; 
Sie gingen mit kecken Tritten 
Zu einem großen Saal. 
23. Da lehnten in hohen Nischen 
Geschmückter Frauen viel, 
Gewappnete Ritter dazwischen 
Mit goldnem Saitenspiel:
	        
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