Full text: Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters

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für eine akademische Perücke ein ganz achtungswertes Stück 
gesellschaftlicher Reform. 
Dagegen wollten Bodmer und Breitinger den englischen 
Dichter Milton nachgeahmt wissen, den Dichter der englischen 
Revolution, die sich noch in religiösen Formen vollzogen hatte 
und von Milton in einem religiösen Epos, dem Verlorenen 
Paradiese, verherrlicht worden war. Allein da Bodmer und 
Breitinger nur von dem religiösen, aber nicht von dem revo¬ 
lutionären englischen Dichter angezogen wurden, so verfielen 
sie einer beschränkten und engherzigen Gottseligkeit, womit 
ebensowenig vorwärts zu kommen war, wie mit Gottscheds 
Fürstensürchtigkeit. Jedenfalls, da beiden streitenden Teilen 
jede schöpferische Kraft fehlte, so konnte dieser Streit von Pe¬ 
danten mit Pedanten zu nichts führen und mußte schließlich im 
Sande verlaufen, als er dadurch feine Lösung sand, daß im 
Jahre 1748 eine große dichterische Kraft mit den ersten Ge¬ 
sängen eines religiösen Epos auftrat. 
Friedrich Gottlieb Klopstock (1724—1803) war in der 
preußischen Stadt Quedlinburg geboren, hatte seine Ausbil¬ 
dung aber aus sächsischen Schulen erhalten, erst in Schulpforta, 
bann in Leipzig. Schon in Schulpforta faßte er den Plan zu 
feinem religiösen Epos, dem Messias. Er folgte damit dem 
Rate der Züricher Kunstrichter, die ihn auch sofort, als die 
ersten Gesänge des Messias erschienen, zu sich einluden, aber 
sich alsbald heftig mit ihm überwarfen, als sie in ihm keinen 
vermuckerten Kopfhänger, sondern einen frischen, kräftigen 
und revolutionär gestimmten Jüngling fanden. Eben aber, was 
sie an Klopstock entsetzte, ist das, was uns heute an ihn fesselt. 
Klopstocks großes Epos, das mehr als 20 000 Verse umfaßt, 
ist heute längst vergessen; Klopstock hat es schwer genug büßen 
müssen, daß er dem Rat der Bodmer und Breitinger gefolgt 
war und sein Leben an eine Schulausgabe, an ein religiöses 
Epos gesetzt hatte, das in Deutschland, wo die Religion seit 
zwei Jahrhunderten die ideologische Begleiterscheinung 
der fürstlichen Winkeltyrannei gewesen war, kein Mor¬ 
genlied des modernen Bürgertums werden konnte. Wenn 
die ersten Gesänge des Messias wie ein Blitz einschlugen, so 
war es, weil sich in ihnen eine Dichterkraft offenbarte, wie sie 
seit Jahrhunderten in Deutschland nicht mehr erschienen war; 
das Gedicht selbst mußte den Zeitgenossen bald langweilig 
werden und ist heute gänzlich in ben Grabgewölben der Lite¬ 
raturgeschichte verschollen.
	        
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