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von glänzenden Dienern; halb Bagdad sprang ihm nach, und alle schrien:
»Heil Mizra, dem Herrscher von Bagdad!" Da sahen die beiden Störche
auf dem Dache des Palastes einander an, und der Kalif Chasid sprach: „Ahnst
du jetzt, warum ich verzaubert bin, Großwesir? Dieser Mizra ist der Sohn
meines Todfeindes, des mächtigen Zauberers Kaschnur, der mir in einer
bösen Stunde Rache schwur. Aber uoch gebe ich die Hoffnung nicht auf.
Komm mit mir, du treuer Gefährte meines Elends! Wir wollen zum Grabe
des Propheten wandern; vielleicht, daß an heiliger Stätte der Zauber ge¬
löst wird."
Sie erhoben sich vom Dach des Palastes und flogen der Gegend von
Medina zu.
Mit dem Fliegen wollte es aber nicht gar gut gehen; denn die beiden
Störche hatten noch wenig Übung. „O Herr," ächzte nach ein paar Stunden
der Großwesir, „ich halte es mit Eurer Erlaubnis nicht mehr lange aus.
Ihr fliegt gar zu schnell. Auch ist es schon Abend, und wir täten wohl, ein
Unterkommen für die Nacht zu suchen."
Chasid gab der Bitte seines Dieners Gehör; und da er unten im Tale
eine Ruine erblickte, die ein Obdach zu gewähren schiert, so flogen sie dahin.
Der Ort, wo sie sich für diese Nacht niedergelassen hatten, schien ehemals
ein Schloß gewesen zu sein. Schöne Säulen ragten aus den Trümmern
hervor; mehrere Gemächer, die noch ziemlich erhalten waren, zeugten von
der ehemaligen Pracht des Hauses. Chasid und sein Begleiter gingen durch
die Gänge umher, um sich ein trockenes Plätzchen zu suchen. Plötzlich blieb
der Storch Mansor stehen. „Herr und Gebieter," flüsterte er leiser, „wenn
es nur nicht töricht für einen Großwesir, noch mehr aber für einen Storch
wäre, sich vor Gespenstern zu fürchten! Mir ist ganz unheimlich zumut,
denn hierneben hat es ganz vernehmlich geseufzt und gestöhnt." Der Kalif
blieb nun auch stehen und hörte ganz deutlich ein leises Weinen, das eher
einem Menschen, als einem Tiere anzugehören schien. Voll Erwartung
wollte er der Gegend zugehen, woher die Klagetöne kamen; der Wesir aber
packte ihn mit dem Schnabel am Flügel und bat ihn flehentlich, sich nicht
in neue, unbekannte Gefahren zu stürzen. Doch vergebens. Der Kalif, dem
auch unter dem Storchenflügel ein tapferes Herz schlug, riß sich mit Verlust
einiger Federn los und eilte in einen finstern Gang. Bald war er an einer
Türe angelangt, die nur angelehnt schien, und woraus er deutliche Seufzer
mit ein wenig Geheul vernahm. Er stieß mit dem Schnabel die Türe auf,
blieb aber überrascht auf der Schwelle stehen. In dem verfallenen Gemach,
das nur durch ein kleines Gitterfenster spärlich erleuchtet war, sah er eine
große Nachteule am Boden sitzen. Dicke Tränen rollten ihr aus den großen,
runden Augen, und mit heiserer Stimme stieß sie ihre Klagen aus dem
krummen Schnabel heraus. Als sie aber den Kalifen und seinen Wesir, der
indes auch herbeigeschlichen war, erblickte, erhob sie ein lautes Freuden¬
geschrei. Zierlich wischte sie mit dem braungefleckten Flügel die Tränen aus
dem Auge, und zu dem größten Erstaunen der beiden rief sie in gutem,
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