Full text: Vaterländisches Lesebuch

98 
zu arbeiten," sagte er sich in der ersten Zeit, nnd fühlte dann 
an seine Brnst, wo er den Dukaten verborgen hatte, „ich habe 
.ja Geld nnd könnte eine ganze Woche lang davon leben, oder 
etwas Anderes damit anfangen; aber ich arbeite, weil mir's Ver¬ 
gnügen macht." Dann aber machte er einen Spaß daraus nnd 
sagte oft: „Ich arbeite bloß zu meinem Vergnügen. Ich arbeite, 
damit ich was zu essen habe, nnd das Essen macht mir dann 
Vergnügen." Nach und nach aber erkannte er, daß nichts Ent¬ 
würdigendes, ja die Ehre nnd der Lebenszweck allein darin liege, 
für den Genuß seines Daseins nnd für das, was man von der 
Welt hat, auch Etwas für sie zu thun. Früher hatte er gedacht, 
durch das Wegrücken eines Stuhls, ja durch jede Thätigkeit seine 
Lebenskraft zu schwächen; jetzt erkannte er, daß, je mehr man 
seine Kräfte braucht, sie um so mehr wachsen und zunehmen, daß 
die Lebenskraft durch Thätigkeit inuner neu erzeugt wird. 
So war Adolph, für den die Straßen früher nur dagewesen 
waren, um als vergnügungssüchtiger Reisender darauf herum zu 
rutschen, ein Bahnmacher und Straßenarbeiter für Andere. Mit 
der Zeit aber gelangte er auch zur Stelle eines Aufsehers bei 
dem Straßenbau, nnd er freute sich in dem Gedanken, daß von 
seinem Dasein auf der Welt noch andere Spuren hinterblieben, 
als die bloßen Kreuze ans dein Gelde, das ihm durch die Hand 
gegangen war. Lange Zeit hat er den Dukaten als Andenken 
ariMwahrt, bis er endlich eingesehen, daß auch dieser nicht ruhen 
darf in dem großen Weltverkehr, nnd er schenkte ihn einer Wittwe, 
deren Maim bei dem Straßenbau verunglückt war. 
83. DaS Glück durch die Gelbwurft. 
Der alte Tuchfabrikant Keller pflegte gern folgende Geschichte 
zu erzählen: 
„Ich war erst kurze Zeit aus der Fremde zurück und hatte 
mein eignes kleines Geschäft angefangen. Da war die Leipziger 
Ostermesse, nnd ich reise hin und nehme einen Ereditbrief von 
1000 Speeicsthalern mit. Das war, wenn man alle Winkelchen 
zusammenkehrt, mein ganzes Vermögen; ich war aber jung und 
gesund, und was glaubt man da nicht mit 1000 Speciesthalern 
machen zu können! Ich reis' also mit nach Leipzig und geb' 
meinen Ereditbrief im Hanse „ Frege uitb Eoiup." ab. Der alte 
Frege läßt meinen Namen in sein Buch einschreiben und wünscht 
mir gute Geschäfte. Ich seh' aber bald, daß sich mit tausend 
Thalern nicht viel machen läßt. Waö thut'ü? Geht nicht Viel, 
so geht Wenig; besser leiern, als feiern, sagt das Sprichwort.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.