Full text: Vaterländisches Lesebuch

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Ich suche mir also eine Partie Wolle aus und geh' hiu, um mein 
Geld zu hole». Da sagt mir der alte Frege, es sei gut, daß ich 
komme, er habe nicht gewußt, wo ich logire. Ich hatte das gerne 
nicht gesagt, da ich wieder, wie einst als HaudwerlSbursche, in 
der Herberge wohnte. „Nun," sagte der Herr Frege, „essen Sie 
morgen Mittag bei mir, Sie werden da noch große Gesellschaft 
finden." Ich tonnte nichts Rechtes darauf erwiedern und ging weg. 
Ich erkundige mich nun, was mau bei einer solchen Eiicha- 
düng zu thun hat, und was dabei herauskommt. Man sagt mir, 
daß es Sitte sei, daß jedes große Handlungshaus seine Empfoh¬ 
lenen durch eine Einladung, wie man sagt, abfüttert, daß nicht 
viel mehr dabei herauskommt, als daß man das Essen theuer be¬ 
zahlen muß, indem es mindestens V/.> Thaler Trinkgeld an die 
Bedienten tostet. Daö war mir nun gar nicht lieb. Ich rechnete 
aus, daß mir von 1000 Thalern nur noch 998'/2 blieben, ant 
für ein Mittagessen konnte ich nicht so viel prästiren. Andern 
Mittags war ich kurz resolvirl. Ich kaufe mir für zwei Groschen 
Gelbwurst, für sechs Pfennig Brod, steck' eS zu mir und geh' 
hinaus vor das Thor, in daö sogenannte Nosenthal. Mein Tisch 
war schnell gedeckt. Ich setz' mich auf eine Bank und wickele 
meine Sachen heraus, ich zerschneide die Gelbwurst in sechs Theile 
und lege sie neben mich hin; das, sage ich, ist meine Suppe, das 
mein Fleisch, das mein Gemüö mit Beilage, daö meine Fische 
und das mein Braten und Salat. Ich glaube nicht, daß sie 
drinnen in der Stadt bei Frege mehr hatten und daß es ihnen 
besser geschmeckt. Ich war eben an der süßen Schüssel, da 
seh ich einen Mann auf einem sehr schönen Braunen daher 
reiten; der, deut' ich, macht sich noch ein Bischen Bewegung 
vor dem Essen, daß es ihm besser schmeckt. Ich wünschte 
ihm meinen gesunden Magen, ich brauchte kein Pferd müde zu 
reiten, um tüchtig einhaueu zu können. Schneller, als ich dies 
sage und denke, ist der Reiter bei mir, lind — es ist der Herr 
Frege selber! In meiner Angst fällt mir der letzte Bissen aus 
der Hand, und der voranSspringende Hund schnappt's gleich auf; 
ich wickle schnell mein Papier zusammen und weiß mir gar nicht 
zu helfen. „Ei! Herr Keller!" sagt der Herr Frege, „was machen 
Sie da? Glauben Sie, Sie bekommen bei mir nicht genug zu 
essen?" 
Was soll ich darauf sagen? Ich denk', du bleibst bei der 
Wahrheit. Ich sag' ihm nun, daß es sich bei mir nicht austra¬ 
gen will, gegen zwei Thaler Trinkgeld für ein einziges Mittag¬ 
essen zu geben, und so und so, und daß ich mir vorgenommen
	        
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