Full text: Vaterlandskunde, ein geographisches-geschichtliches Handbuch, zunächst für die Bewohner der Preußischen Rhein-Provinz

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die Erlaubnis gab, ein Gleiches zu tun, hörte man draußen wildes Rufen 
und Schreien, Trompeten- und Hörnerklänge. Die Franzosen sahen ein— 
ander staunend und fragend an; da aber der Herzog diese Störung gar 
nicht zu beachten schien, so fühlten auch sie sich wieder beruhigt. 
Die Diener glitten schnell und geräuschlos um den Tisch, um die 
dampfende Suppe zu reichen. Der Wein funkelte in den Gläsern, — 
da hörte man draußen das Klirren von Schwertern, Pferdegetrappel, 
Schüsse und Lärm von Tausenden. Erbleichend sahen die Franzosen 
einander an. In demselben Augenblicke stürzte ein französischer Offizier 
herein. 
„Zu den Waffen! Zu den Waffen!“ schrie er atemlos. „Die 
Preußen sind dal Seydlitz steht vor den Toren!“ 
Entsetzt sprangen die Offiziere von der Tafel auf und stürzten die 
Treppen hinunter, um ihre Soldaten zum Widerstande zu sammeln. Als 
sie aber vor die Tür kamen, wälzte sich eine ungeheure Menschenmenge 
an ihnen vorüber. Französische und Reichstruppen, Infanteristen zu Pferde 
und Kavalleristen zu Fuß: alles eilte in wilder Hast zum Stadttore 
hinaus. „Ein ungeheures preußisches Heer ist hinter uns,“ riefen die 
Flüchtlinge und warfen die Waffen weg, um schneller aus der Stadt zu 
kommen. Vergebens bitten und drohen die Offiziere. Ihre Untergebenen 
sind wohl gewöhnt, gegen wehrlose Bürger und Bauern zu ziehen, nicht 
aber gegen preußische Soldaten. Die Offiziere werden von dem Strom 
der Flüchtigen fortgerissen. Ohne Hut und Degen, auf schaumbedecktem 
Rosse flieht der französische Anführer, Prinz Soubise, fliehen alle diese 
großsprecherischen Herren. Hinterdrein rollen ganze Reihen prächtiger 
französischer Wagen; Kutscher und Diener in ihren reichen Kleidungen 
suchen sich in ihnen zu retten. 
Allein ehe sie an das Stadttor kommen, braust um die Straßen— 
ecke eine Reiterschar, festgeschlossen und siegesmutig. Es ist Seydlitz mit 
seinen Reitern. Wohl hatte er nur seine 16500 Mann; aber der ebenso 
kluge als tapfere General wußte die Franzosen prächtig zu überlisten 
Er ließ seine Truppen nur in einer Reihe und in großen Zwischenräumen 
aufstellen, so daß sie eine lange Linie bildeten. Überdies mußten einige 
Schwadronen Husaren absitzen und zu Fuß zwischen den Dragonern mar— 
schieren, so daß es aussah, als ob eine große Menge von Reiterei und 
Fußvolk im Anmarsch sei. 
Diese List war ihm gut gelungen; die Franzosen flohen aus Gotha, 
so schnell sie nur konnten. Erst in weiter Entfernung konnte Soubise seine 
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