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gequälte Sohn in das englische Wäldchen, worin das Grabmal seiner
Mutter und das leere war, das sein Vater sich in der Leichenklage
hatte bauen lassen. Hier gelobte Heinrich dem mütterlichen Geiste den
Krieg mit seinem Jähzorn und mit seinem Heißhunger nach Freuden.
Der Geburtstag des Vaters rief ihm zu: „Die dünne Erde, die deinen
Vater hält und ihn vom Staube deiner Mutter absondert, wird bald
einbrechen, vielleicht in wenigen Tagen, und dann stirbt er bekümmert
und ohne Hoffnung; und er kommt zu deiner Mutter und kann ihr
nicht sagen, daß du besser bist." O da weinte er heftig; aber unglück¬
licher Heinrich, was hilft deine Rührung und dein Weinen ohne dein
Bessern?
Nach einigen Tagen erhob sich der Vater wieder, und im kränk¬
lichen Übermaße von Rührung drückte er den reuigen Jüngling an die
fieberhafte Brust. Heinrich berauschte sich in der Freude über die
Genesung und über den Kuß; er ward froher und wilder, er verwil¬
derte mehr. Sein Lehrer, der die Weichheit des Vaters durch kraft¬
volle Strenge gut zll machen suchte, bestritt das Ausschwellen des
Freudentaumels. Heinrich ward glühend, den Geboten ungehorsam;
und da der Lehrer fest, stark und notwendig sie wiederholte, verletzte
Heinrich im Taumel das Herz und die Ehre des strengen Freundes
zu tief. Da flog auf das zu oft getroffene, kranke Herz des hoffenden
Vaters der Aufruhr gegen den Lehrer wie ein giftiger Pfeil, und der
Vater unterlag der Wunde und sank auf das Krankenbett zurück.
Leichtsinnig wirft der Mensch die glimmenden Kohlen seiner
Hünden umher, und erst, wenn er im Grabe liegt, brennen hinter
ihm die Hütten auf von seinen eingelegten Funken, und die Rauch¬
säule zieht als eine Schandsäule auf sein Grab und steht ewig darauf.
Heinrich konnte, sobald die Hoffnung der Genesung verschwand,
die zerfallene Gestalt des Vaters vor Qualen nicht mehr anschauen;
er hielt sich bloß im nächsten Zimmer auf und kniete, während Ohn¬
machten mit dem väterlichen Leben spielten, wie ein Missethäter still
und mit verbundenen Augen vor der Zukunst und vor dem zerschmet-
ternden Geschrei: „Er ist tot!" —
Endlich mußte er vor den Kranken kommen, um Abschied zu
nehmen und die Vergebung zu empfangen; aber der Vater gab ihm
nur seine Liebe, nicht sein Vertrauen wieder und sagte: „Ändere dich,
mein Sohn, aber versprich es nicht!"
Heinrich lag niedergedrückt vor Scham und Trauer im Neben¬
zimmer, als er, wie erwachend, seinen alten Lehrer, der auch der
Lehrer seines Vaters gewesen, diesen einsegnen hörte, als ziehe schon
die längste Nacht um das kalte Leben: