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Kaufmann lachte ihm ins Gesicht, und konnte es kaum über sich
bringen, ihm die Hälfte anzubieten. Einen ähnlichen Vorfall
hatte der berüchtigte Trenk. Kaum war er zu Hamburg an¬
gelangt, so erhielt er eine Einladung zu einem Gastmahl. Er
nahm sie an, schrieb aber zugleich dem Kaufmann: Seine zuvor¬
kommende Gefälligkeit gegen einen Unbekannten lasse ihn nicht
zweifeln, daß er ihm gegen einen Wechsel eine kleine Summe vor¬
strecken werde. Der Handelsherr antwortete: da er ihn nicht
kenne, so finde er das Ansinnen sehr sonderbar. Und da ich Sie
nicht kenne, antwortete der rauhe Ungar, so hab' ich auch den
Teufel von Ihrer Fresserei.
Der Hauptzug im Charakter der Hamburger ist eine gewisse,
fast übertriebene Kaltblütigkeit. Lebhafte Freude scheint ihrer Na¬
tur ganz fremd zu seyn. Sie kommen zusammen, um sich mit
einander satt zu essen und zu trinken, thun es ruhig und gefaßt,
und gehen in derselben Stimmung, in der sie zusammen gekom¬
men waren, wieder auseinander. Das Essen wird als die erste
Angelegenheit des Lebens mit stillem Eifer betrieben. Auch bei
ihren Bällen, sagt man, verlasse diese Geistesruhe die Hambur¬
ger nicht, und mache, daß gewöhnlich ihre Freude sich mehr
schläfrig als lebhaft äußere.
Fast Alles bekommt bei ihnen nur durch die Menge der Schüs¬
seln Feierlichkeit; selbst ihre Religionsfeste sind in den Augen des
großen Haufens nichts als Tage, an welchen eine gewisse Speise
genossen werden muß. Man geht in die Kirche und ißt dann am
Ostertage Lämmer-, am Martinstage Gänse-, am Bußtage
Schöpsenbraten. In den angesehenen Häusern ist cs Gebrauch,
drei- oder viermal im Jahre große Mahlzeiten zu geben, zu de¬
nen die Gäste schon vier Wochen vorher eingeladen werden. In
den Zwischenzeiten wird die Familie wieder von denen traktirt,
die bei ihr zu Gaste gewesen sind, und so vergeht Manchen viel¬
leicht keine Woche, ohne daß sie einem großen Schmause beige¬
wohnt hätten. Außer diesen Pflichtmahlzeitcn wird aber auch
noch jeder andere Anlaß durch Gastereien gefeiert. Man will
z. B. einem ausgezeichneten Fremden eine Artigkeit erzeigen;
man hat ein Haus gekauft oder gebaut, oder neu meublirt; es
ist eine Braut in der Familie; oder cs ist Einer Rathsherr ge¬
worden. Alles dieses wird hoch begangen. In den untern Klas¬
sen wird sogar das Schlachten eines Ochsen durch eine sogenannte
Ochsenmahlzeit gefeiert.
Bei allen diesen Mahlzeiten spielen die Frauen eine Hauptrolle.
Sie leben nicht mehr, wie vor der französischen Revolution, nach
der urväterlichen Sitte; die Emigranten, die sich hier einnisteten,
bildeten Alle um, die der Umbildung noch werth, das heißt jung,
schön oder reich waren. Sie verloren sich in der Folge wieder;
allein der Einfluß, den sie auf Sitten und geselliges Leben gehabt
hatten, dauerte fort. Statt der abgeschiedenen Franzosen, wur-