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Erstes Kap. Bürgerlicher Zustand. 
geschehen durch das Wicdcraufblühcn der Freiheit. Auch hatte der steigende 
Wohlstand vermehrte Kräfte zu edleren Einrichtungen, zu feineren Genüssen 
gegeben, und von dem emporflammendcn Licht der Wissenschaften, von der 
auflebenden schönen Kunst war in alle Verhältnisse des bürgerlichen Lebens 
rin Strahl höherer Gesittung gekommen. Aber das war noch wenig für die 
Masse des Volkes, wenig für den Pöbel aller Stände, wenig für das Innerste 
der Denk- und Handlungsweise. Vorherrschend blieb noch immer die 
Barbarei. 
In England waren, nach Hume's vollgiltigem Zeugnisse, unter 
Eduard III. die Baronen die vornehmsten Anführer der Räuber, Mörder 
und Schelme aller Art. Feierlich versprach der Adel vor dem versammelten 
Parlament, er werde nicht Diebshehler, noch Helfer zu Verbrechen scvn; 
und — das erniedrigende Versprechen blieb unerfüllt. Den Grundsäzen der 
Chcvalcrie zum Troz, der gemeinen Humanität zum Hohne, fielen Eduard IV. 
und seine Brüter mit einigen großen Lords, als nach der Schlacht bei 
Tcwkesbury der gefangene Prinz von Lancaster vor sie geführt ward, 
wie wilde Thiere über ihn her und törtctcn ihn eigenhändig. Wo die Häupter 
der Nation solche Sitten haben, also ruft mit Recht der Geschichtschreiber 
aus, wie mag cs um jene des gemeinen Haufens stehen? 
Die Kriegsgeschichten aller Völker aus diesem Zeitraume sind von äbn- 
lichcn Gräueln erfüllt. Nicht blos in der Wuth des Streites, nicht blos 
von leidenschaftlichen Theilnchmcrn desselben wurden sic verübt; sondern sie 
sind Regel und erscheinen als Wirkung allgemeiner Fühllosigkeit und Ver¬ 
wilderung. 
Auch in friedlichen Verhältnissen begegnen uns manche betrübende 
oder widerwärtige Züge. Ob bei Einzelnen die Erkenntniß edleren LcbcnS- 
genusscs, ob unter einigen Klassen der Gesellschaft, in einige» glücklicheren 
Gegenden oder blühenderen Städten Geschmack und feine Gesittung vorkom¬ 
men : im Allgemeinen sind selbst bei Reichen mehr nur plumpe Pracht in Klei¬ 
dern oder Gcräthen, verschwenderischer Sinnengenuß, unmäßige Gastmahle. 
Trink- und Spiclgelage zu sinken. Auch die niederen Klasse» oder die iiuud.r 
Begüterten eiferten jenen nach in solcher rohen Lebenslust. Jedem bürgerlich 
Freien blieb eben (ein längst vergessenes Glück), bei de» »och mäßige» For¬ 
derungen der Fürsten, der Ertrag seines Besizthunis oder seiner Arbeit zum 
selbsteigencn Genuß. Also selbst in Städten oder an fürstlichen Höfen, wo
	        
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