460 Neuntes Kap. Von dem Brande Moskau's
Verfassung seines Reiches keinen Vertrag ohne Unterzeichnung und Vertretung
verantwortlicher Minister einzugehen befugt sey.
Wer wird sich nicht gerührt und erhoben fühlen durch die edlen, frommen
Gefühle, welche die Urkunde des heiligen Bundes durchwehen? — Wer wird
nicht die Völker glücklich preisen, deren Regenten durchdrungen sind von den
Pflichten der Moral und des Christenthums? — Wer wird nicht wünschen,
daß Gerechtigkeit, Liebe und Frieden, so wie der Bund cs verheißt, für und
für herrschen mögen unter den Nationen der Erde?? — Aber können wir
hoffen, daß eine edelmüthige Verkündung, daß selbst ein Vertrag einiger Häupter
die Natur der Menschen, die gebrechliche und zum Bösen geneigte, umwandeln,
daß sic das Reich Gottes auf Erden begründen werde? — Wenn wir Dies
nicht können und daher blos der möglichen oder unmittelbaren Wirkungen
gedenken; so stellt sich allernächst dem Blicke die Vereinigung aller Staaten
Europa's (den Papst und die Pforte und zum Theil England ausgenommen)
zu einem großen Weltreich unter einer verbrüderten Negentenfamilie dar,
die Alleinherrschaft eines von einigen Häuptern ausgestellten Prinzips, von
welchem sich loszusagen als Auflehnung gegen die Ordnung des Weltreiches
gilt, und — wie in Neapel und Spanien — mit Aeehtung bestraft
wird; ein Verhältniß, welches nach allen bisherigen Erfahrungen und nach
der Natur der Menschen die größten Gefahren mit sich führt, und die wirk¬
samsten Nechtsgarantien aufhebt. In der Koexistenz vieler selbstständiger,
auch rivalisirender Staaten, in der Entg egensezun g verschiedener politischer
Interessen und Tendenzen hat bisher die Freiheit ihre beste Stüze gefunden;
und das edlere Leben der Völker, wie der Einzelnen, ihre moralische und
intellektuelle Kraft, ersterben unter der Herrschaft eines einzigen allocrbrci-
teten Systems und einer von der Gewalt gchandhabtcn gleichförmigen Rich-
tung der Geister, wie der Leiber. China mag hicfür als Beweis dienen,
wiewohl wir allerdings nicht in Allem die Einheit eines chinesischen Reiches
erreicht haben, und namentlich die Mauthlinien, Zölle und viclnamige
Strombeherrschung uns noch immer empfindlich genug an die Koexistenz
mehrerer Staaten erinnern. Aber soviel ist gewiß, daß die Ge sch ich te,
wenn sie freie Beurtheilerin der Thatsachen, nicht sklavische Sammlerin offi¬
zieller Verkündungen seyn soll, einen freien, also auswärtigen Standpunkt
begehrt, der in einem Weltreich nimmer zu finden ist, daß sic der Macht,
in deren Bereich sie schreibt, erst ein Menschenalter später nachtritt, und daß