Full text: Sagen und Geschichten aus dem Altertume (Teil 1)

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4. Cyrus wird König. Einstmals schickte ihm nun Harpagns durch 
einen als Jäger verkleideten Boten einen Hasen zu, in dessen Bauche ein Brief 
stak. In diesem stand geschrieben: „CyrnS, unter dem Beistaude der Götter 
bist Du in zarter Kindheit von mir vor den Anschlägen Deines Großvaters 
gerettet worden. Wenn Du ihn dafür bestrafen willst, so ziehe mit einem 
Heere gegen ihn; ich werde Dir helfen, daß Du siegst und selbst König wirst." 
— Cyrus wollte zuvor seine Perser prüfen und ließ alle waffenfähigen Männer 
auf einen Tag mit Sensen und Sicheln erscheinen und ließ sie eine weite 
Strecke wüsten Landes von Dornen und Disteln säubern. Am nächsten Tage 
aber befahl er ihnen in Festkleidern wieder zn kommen und bewirtete sie 
köstlich. Dann fragte er sie: „An welchem Tage hat es euch am besten 
gefallen?" Sie antworteten: „Natürlich heute; denn gestern waren wir 
Sklaven, heute aber freie Herren." „Das könntet ihr immer sein," erwiderte 
Cyrus, „wenn ihr euch meiner Führung anvertraut und das medische Joch abwerft." 
Unter lautem Jubel erklärten sie sich zum Abfalle bereit. Als Aftyages von dieser 
Empörung hörte, schickte er ein Heer, an dessen Spitze Harpagns stand, in die 
persischen Berge; allein dieses wurde geschlagen und der König abgesetzt. Cyrus 
behandelte ihn aber nach seiner Art milde und that ihm kein Leid. 
5. Cyrus und Krösus. Um jene Zeit herrschte der mächtige König 
Krösus über Lydien, d. h. über Kleinasien, bis zum Flusse Halys. Da sich 
dieser von dem neuen Perserkönige bedroht glaubte, fragte er bei dem Orakel 
zu Delphi, das er durch eine Probe als das beste erkannt hatte, um Rat und 
erhielt den Spruch: „Wenn Krösus über den Halys geht, wird er ein großes 
Reich zerstören." Dadurch ermutigt, erklärte er dem Cyrus den Krieg, wurde 
aber geschlagen und in seiner eigenen Hauptstadt Sardes gefangen genommen. 
Schon saß er auf einem Scheiterhaufen, auf dem ihn der Sieger angeblich 
verbrennen lassen wollte, schon züngelten die Flammen hervor, da rief er dreimal 
laut: „Solon!" Erstaunt ließ ihn Cyrus losbinden, vor sich führen, um zu 
erfahren, was jener Ruf zu bedeuten habe! Da erzählte der Unglückliche 
Folgendes: 
6. Krösus und Solon. „Als ich noch ein mächtiger und wegen meiner 
Reichtümer vielbeneideter König war, kam einmal der berühmte Weise Solon 
aus Athen zu mir in die Königsburg. Ich zeigte ihm alle meine Schätze und 
fragte ihn dann, wen er wohl für den glücklichsten Menschen halte. Er 
nannte aber nicht, wie ich erwartet hatte, mich, sondern den Athener Tellns, 
weil dieser in ungetrübtem Glücke seines Staates und Hauses ein hohes Alter 
erreicht habe, in siegreicher Schlacht gefallen sei und von seinen Mitbürgern 
noch im Tode geehrt werde. Als ich ihn weiter fragte, wen er nach diesem am 
glücklichsten preise, nannte er zwei wackere Jünglinge ans Argos, mit 
9iamen Kleobis und 33iton. Ihre Mutter war eine Priestern der Hera 
und wollte einst zum Tempel fahren. Da aber die Zugtiere noch nicht vom
	        
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