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Dcr polnische Freiheitskampf.
Warschau hinüber und ließ zur Vertheidigung des Brückenkopfes von Praga
nur eine Besatzung von einigen Bataillonen unter Kasimir Malachowski zurück.
Die Hauptstadt war während dcr Schlacht, die man von hochgelegenen
Punkten deutlich übersehen konnte, in unbeschreiblicher Bewegung gewesen;
der Ausgang erfüllte sie mit tödtlicher Angst, da man nicht daran zweifelte,
daß Diebitsch, wie einst Suworow, Praga erstürmen und darauf auch War¬
schau nehmen würde. Die allgemeine Bestürzung war um so größer, je ge¬
wisser man auf den Sieg gerechnet hatte; denn die vorausgegangenen Ge¬
fechte, in denen die Polen sich zum ersten Male mit dem Feinde gemessen,
waren sämmtlich als Niederlagen der Nüssen dargestellt worden. Während
des Treffens vom 19., aus dem der Kanonendonner zuerst nach Warschau
herübcrschalltc, war der Reichstag versammelt gewesen. 6s wurde beschlossen,
daß die Sache des Vaterlandes selbst dann nicht aufgegeben werden sollte,
wenn die Hauptstadt in die Hände des Feindes fiele. An welchem Orte,
außer in Rußland, sich 11 Senatoren und 33 Landboten vereinigten, sollte
der Reichstag als vollzählig gelten und ermächtigt seyn, rechtskräftige Be¬
schlüsse zu fassen. So kühn die Haltung war, welche die gesetzgebende Ver¬
sammlung bei der Annäherung der Gefahr bewahrte, so wurde doch auch sie
von der allgemeinen Betäubung ergriffen, als der Verlust der Schlacht die
Hoffnungen zerstörte, die man auf den Muth des Heeres gesetzt hatte. Um
vier Uhr des Morgens wurden alle Generale und Obristen zu einem Kriegs-
rathc versammelt. Die meisten Anführer waren klcinmüthig; andere, wie
Krukowiecki und der vor wenigen Tagen aus seiner Haft in der preußischen
Festung Glogau entflohene Uminski, zankten. Nur Skrzynecki, der auch in
der Schlacht bis zum letzten Augenblicke mit der kühnsten Unerschrockenheit
gefochten hatte, blieb ruhig und setzte die Lage der Dinge mit Klarheit aus¬
einander. Fürst Radzrwil, dcr nach dcr Verwundung Chlopicki's alle Be¬
sonnenheit verloren und bei dem Angriffe der russischen Cuirassicre sich nach
Praga hineingeflüchtet hatte, erkannte seine Unfähigkeit, das Herr zu führen,
und legte den Befehl nieder. Alle Stimmen vereinigten sich, Skrzynecki zu
seinem Nachfolger zu ernennen, der, die Hände zum Himmel erhebend, Gott
zum Zeugen anrief, daß er nicht aus Ehrgeiz den Befehl annehme, sondern
allein für das Wohl und die Errettung des Vaterlandes. Als gegen Mittag
der Reichstag zusammentrat, um die Wahl des neuen Feldherrn zu bestätigen,
wurde mit Mühe die erforderliche Anzahl Mitglieder zusammengebracht: Land-