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Nicias und
Kleon.
t
Eroberung
von MYtilene
und Platää.
daß er den peloponnesischcn Krieg veranlaßt habe: aber der große
Geschichtschreiber Thucydides, sein Zeitgenosse, ist der Ansicht, daß
er denselben bei der Eifersucht der Spartaner auf die Größe und
Macht Athens nicht habe verhindern können. Periklcs würde bei
längerem Leben durch seine Einsicht und Klugheit die Feinde besiegt,
und der Krieg nicht einen so schlimmen Ausgang für die Athener
genommen haben. Perikles hielt durch seine Klugheit und sein An¬
sehn die Menge in freiwilliger Unterwürfigkeit; er war von aner-
erkannter Unbestechlichkeit und nicht durch unrechtmäßige Mittel zu
seiner Macht gelangt; er brauchte der Menge nicht zu schmeicheln,
sondern widersprach ihr selbst mit strengen Worten. Die Schwäche
der nach ihm an der Spitze des Staates stehenden Feldherrn und
Redner setzte seine Größe in ihr volles Licht. Seine Nachfolger
schmeichelten, sich untereinander bekämpfend, dem Volke; sie wichen
von der Handlungsweise des Periklcs ab und ließen sich auf große
Unternehmungen in der Ferne ein.
Im Jahr 429 v. Ehr. machten die Peloponnesier keinen Ein¬
fall in Attika, sie unternahmen aber mit den Böotiern die Belage¬
rung von Platää. Dagegen erfocht die athenische Flotte unter
Phormio am korinthischen Meerbusen zwei glänzende Siege über
die Flotte der Peloponnesier.
Nach dem Tode des Perikles gab es in Athen keinen Staats¬
mann von Bedeutung. Die aristokratische Partei unterstützte den
Nicias, um wieder einigen Einfluß zu gewinnen und den verderb¬
lichen Künsten der Volksschmeichler entgegenzuwirken. Nicias war
ein tapferer und einsichtsvoller Feldherr, ein besonnener und ernster
Mann; er suchte das Volk dlrrch Freigebigkeit und prächtige Auf¬
züge zu gewinnen, besaß aber nicht die gewaltige Beredtsamkeit und
tiefe Bildung des Perikles und war zu schüchtern und unentschlossen,
um eine Volksversammlung wie die athenische zu leiteu. Viel bes¬
ser gelang dieses seinem Gegner Kleon, dem Besitzer einer von
Sklaven betriebenen Gerberei, welcher von den Komikern spvttweise
der Gerber genannt wird. Kleon war ein ungebildeter Mensch, be¬
saß aber eine natürliche Beredtsamkeit; er betäubte alle durch seine
gewaltige Stimme und setzte seinen Willen durch, indem er mit un¬
erhörter Frechheit die Wahrheit entstellte und Andersgesinnte mit
beißendem Spotte verfolgte und lächerlich machte. Er erlangte
durch die Entschiedenheit und Zuversichtlichkeit, mit welcher er auf¬
trat, durch seine blinde Begeisterung für Athen und seinen wüthen¬
den Haß gegen Sparta und endlich durch die Anfeindung aller Vor¬
nehmen und Gebildeten, welche er als Aristokraten verdächtig machte,
den größten Einfluß. Es wurde den besseren Staatsmännern immer
schwerer, die Leitung des athenischen Staates den Händen der nichts¬
würdigsten Demagogen zu entreißen, und das Treiben dieser elenden
Menschen war während des Krieges, wo bei allen Beschlüssen die
größte Einsicht und Besonnenheit nöthig war, doppelt verderblich.
Während 428 v. Chr. die Peloponnesier zum dritten Male in
Attika eindrangen, fiel Mytilene nebst den übrigen lesbischen Städten
mit Ausnahme von Methymna von Athen ab. Der Abfall von