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Lesbos machte für Athen den Besitz des reichen Jonien's unsicher,
und die Athener entwickelten deshalb die ganze Fülle ihrer Macht,
um Lesbos wieder zu unterwerfen. Hundert Schiffe dienten zum
Schutze von Attika, Euböa und Salamis, hundert andere verheerten
die Küsten des Peloponnes und vierzig wurden nach Lesbos geschickt
und Mytilene von der Seeseite eingeschlossen. Zwar machten die
Spartaner 427 v. Chr. einen verheerenden Einfall in Attika und
schickten den Lesbiern vierzig Schiffe; aber noch ehe diese Flotte an-
kam, hatten die Athener mit Hülfe der demokratischen Partei My¬
tilene nach langer Belagerung zur Ergebung gezwungen. In Athen
faßte die Volksversammlung auf Betreibung Kleons den grausamen
Beschluß, daß alle Mytilenäer hingerichtet und die Weiber und
Kinder als Sklaven verkauft werden sollten. Nachdem der Befehl
bereits an den athenischen Feldherrn abgeschickt worden war, kehrte
eine ruhigere Betrachtung zurück und es gelang den besseren Bür¬
gern das Volk umzustimmen. Der grausame Beschluß wurde dahin
abgeändert, daß nur die von dem athenischen Feldherrn als Anstifter
des Abfalls nach Athen geschickten Lesbier hingerichtet werden sollten.
Deren Zahl belief sich aber doch auf Tausend. Mytilene mußte seine
Mauern niederreißen und die Schiffe ausliefern; alle Ländereien von
Lesbos mit Ausnahme derer von Methymna wurden in 3000 Loose
getheilt und Athenern angewiesen, welche dieselben gegen einen jähr¬
lichen Zins den Lesbiern überließen.
Eine noch härtere Behandlung erlitt in eben dieser Zeit von
der Gegenpartei die unglückliche Stadt Platää. Die Besatzung be¬
stand aus 400 Platäern und 80 Athenern; die nicht streitbaren Be¬
wohner waren nach Athen geschafft und nur einige Frauen zur Be¬
reitung der Speisen zurückbehalten worden. Im Jahr 429 v. Chr.
hatte der König Archidamus mit einem peloponnesischen und böotischen
Heere die Belagerung unternommen und die Stadt mit einem Walle
umgeben. Als aber alle Angriffe an der hartnäckigen Vertheidigung
der Belagerten scheiterten, schützten die Belagerer ihr Lager auch nach
außen durch einen Wall, bauten in dem Zwischenraum Wohnungen
und ließen in diesen einen Theil des Heeres; die klebrigen aber kehr¬
ten in ihre Heimath zurück. Durch diese Einschließung entstand
in Platää Mangel an Lebensmitteln und eine unbeschreibliche Noth.
Es faßten deshalb im zweiten Winter der Belagerung die Belager¬
ten den kühnen Entschluß, sich durch die Feinde durchzuschlagen. Doch
versuchten nur 220 das Unternehmen, da die übrigen an dem Ge¬
lingen verzweifelten. In einer stürmischen und finstern Nacht stie¬
gen jene 220, während die Zurückbleibenden durch einen Ausfall
auf einer andern Seite der Stadt die Feinde beschäftigten, über die
Verschanzungen der Feinde, und 213 von ihnen gelangten glücklich
nach Athen. Nur einige waren in die Stadt zurückgekehrt, einer
gefangen, keiner getodet worden. Die Zurückgebliebenen behaupteten
sich noch bis in den Sommer 427 v. Chr., wo sie, durch gänzlichen
Mangel gezwungen, auf die Aufforderungen der Spartaner die Stadt
übergaben. Die Spartaner versprachen ihnen, nur die Schuldigen
und auch diese nur nach vorhergegangenem Nechtsspruch zu bestrafen.
Die Richter legten aber jedem Gefangenen nur die Frage vor, ob
er während des gegenwärtigen Krieges den Spartanern und deren