225
nischen zn kurz. Die byzantinischen Künstler hatten in der Technik
eine hohe Vollendung erreicht, da der griechische Hof mit seiner
Prachtliebe und seinem Reichthume lange Zeit die Kunstthätigkeit
unterstützt hatte. Das Aeußere der Kirchen blieb noch ohne Schmuck;
alle Pracht ward auf das Innere, besonders auf den Altarraum
verwendet. Außerdem wurden die Reliquienkästen, die zum Schmuck
des Altars nöthigen Leuchter, die Kelche, Pateren, Rauchgefäße,
vor allem die Ciborien oder Monstranzen, zur Aufbewahrung der
geweihten Hostie, mit kunstreicher Arbeit ausgeschmückt. Ob schon
damals ein Crucifix auf den Altar gestellt wurde, ist nicht gewiß;
diese Art der Darstellung Christi kömmt zuerst in dieser Zeit, aber
nicht früher vor. Zum Schmuck des Altars war eine eigene Art
von Altarbildern, die aus dem Alterthum entlehnten Diptychen, in
Gebrauch. Es waren dieses zum Zusammenschlagen eingerichtete
Täfelchen, welche auf den Altar gestellt wurden und welche inwen¬
dig die Namen der oberen Geistlichkeit der Gemeinde, der Heiligen
und ausgezeichneter Wohlthäter der Kirche enthielten. Auch die
Sitze der Geistlichen, die Kanzeln und die Taufsteine wurden mit
künstlicher Arbeit verziert.
Der gebildetste der germanischen Stämme waren die Gothen,
welche auch zuerst das Christenthum annahmen. Die Gothen wa¬
ren auch reich an Poesie, an Heldenliedern. Jornandes berichtet
von alten, aber zu seiner Zeit noch üblichen Liedern über die Wan¬
derzüge seines Volkes, ferner von den Gesängen, mit denen noch
im .Angesichte des Feindes die Westgothen ihren bei Chalons gefal¬
lenen König von der Walstatt trugen und klagend bestatteten. Den
Gesang ihrer Lieder begleiteten die Gothen mit der Harfe, und es
gab bei ihnen Harfensänger von Beruf und Ruhm. Aber diese
Kunst übten selbst die Könige. Außer der Harfe hatten die Gothen
noch das Horn und die Flöte. Die Kirchensprache der Gothen war
die gothische, und in diese ward von Ulfilas die heilige Schrift
übersetzt, die erste Bibel in germanischer Sprache, die erste
germanische Prosa, überhaupt die erste noch erhaltene germanische
Schrift. Die Sprache zeigt große Vollkommenheiten, aber auffällig
ist es, daß sie viele fremde Wörter aufgenommen hat. Noch mehr
ist griechisch-römischer Einfluß in der Schrift zu erkennen. Die
Gothen hatten vor Ulfilas ein Runenalphabet, welches sich aber zu
umfangreicherer Darstellung nicht eignete. Ulfilas sah sich daher ge¬
nöthigt es mehrfach umzuändern und zu ergänzen. Er legte die
alten Runen zwar zum Grunde und ließ zwei unverändert, die
übrigen jedoch machte er den entsprechenden Zeichen des griechischen
Alphabets noch ähnlicher als sie an sich schon waren. Die Gothen
waren, als sie in die römischen Länder eindrangen, bereits Christen,
und hatten Priester aus ihrer Mitte und Gottesdienst in gothischer
Sprache.
Die übrigen germanischen Völker aber, welche römische Län¬
der eroberten, nahmen das Christenthum erst von den Besiegten an
und mit dem Christenthum das Latein als Kirchensprache. Sie
hatten längere Zeit römische Priester, welchen die Sprache der Sie¬
ger barbarisch und die Poesie derselben ein heidnischer Gräuel dünkte.
15
Die germa¬
nischen und
romanischen
Sprachen.