Full text: Geschichte des Mittelalters (Theil 2)

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nischen zn kurz. Die byzantinischen Künstler hatten in der Technik 
eine hohe Vollendung erreicht, da der griechische Hof mit seiner 
Prachtliebe und seinem Reichthume lange Zeit die Kunstthätigkeit 
unterstützt hatte. Das Aeußere der Kirchen blieb noch ohne Schmuck; 
alle Pracht ward auf das Innere, besonders auf den Altarraum 
verwendet. Außerdem wurden die Reliquienkästen, die zum Schmuck 
des Altars nöthigen Leuchter, die Kelche, Pateren, Rauchgefäße, 
vor allem die Ciborien oder Monstranzen, zur Aufbewahrung der 
geweihten Hostie, mit kunstreicher Arbeit ausgeschmückt. Ob schon 
damals ein Crucifix auf den Altar gestellt wurde, ist nicht gewiß; 
diese Art der Darstellung Christi kömmt zuerst in dieser Zeit, aber 
nicht früher vor. Zum Schmuck des Altars war eine eigene Art 
von Altarbildern, die aus dem Alterthum entlehnten Diptychen, in 
Gebrauch. Es waren dieses zum Zusammenschlagen eingerichtete 
Täfelchen, welche auf den Altar gestellt wurden und welche inwen¬ 
dig die Namen der oberen Geistlichkeit der Gemeinde, der Heiligen 
und ausgezeichneter Wohlthäter der Kirche enthielten. Auch die 
Sitze der Geistlichen, die Kanzeln und die Taufsteine wurden mit 
künstlicher Arbeit verziert. 
Der gebildetste der germanischen Stämme waren die Gothen, 
welche auch zuerst das Christenthum annahmen. Die Gothen wa¬ 
ren auch reich an Poesie, an Heldenliedern. Jornandes berichtet 
von alten, aber zu seiner Zeit noch üblichen Liedern über die Wan¬ 
derzüge seines Volkes, ferner von den Gesängen, mit denen noch 
im .Angesichte des Feindes die Westgothen ihren bei Chalons gefal¬ 
lenen König von der Walstatt trugen und klagend bestatteten. Den 
Gesang ihrer Lieder begleiteten die Gothen mit der Harfe, und es 
gab bei ihnen Harfensänger von Beruf und Ruhm. Aber diese 
Kunst übten selbst die Könige. Außer der Harfe hatten die Gothen 
noch das Horn und die Flöte. Die Kirchensprache der Gothen war 
die gothische, und in diese ward von Ulfilas die heilige Schrift 
übersetzt, die erste Bibel in germanischer Sprache, die erste 
germanische Prosa, überhaupt die erste noch erhaltene germanische 
Schrift. Die Sprache zeigt große Vollkommenheiten, aber auffällig 
ist es, daß sie viele fremde Wörter aufgenommen hat. Noch mehr 
ist griechisch-römischer Einfluß in der Schrift zu erkennen. Die 
Gothen hatten vor Ulfilas ein Runenalphabet, welches sich aber zu 
umfangreicherer Darstellung nicht eignete. Ulfilas sah sich daher ge¬ 
nöthigt es mehrfach umzuändern und zu ergänzen. Er legte die 
alten Runen zwar zum Grunde und ließ zwei unverändert, die 
übrigen jedoch machte er den entsprechenden Zeichen des griechischen 
Alphabets noch ähnlicher als sie an sich schon waren. Die Gothen 
waren, als sie in die römischen Länder eindrangen, bereits Christen, 
und hatten Priester aus ihrer Mitte und Gottesdienst in gothischer 
Sprache. 
Die übrigen germanischen Völker aber, welche römische Län¬ 
der eroberten, nahmen das Christenthum erst von den Besiegten an 
und mit dem Christenthum das Latein als Kirchensprache. Sie 
hatten längere Zeit römische Priester, welchen die Sprache der Sie¬ 
ger barbarisch und die Poesie derselben ein heidnischer Gräuel dünkte. 
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Die germa¬ 
nischen und 
romanischen 
Sprachen.
	        
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