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Wäldern hatte sich gallische Sprache und Sitte mit geringer Ver¬
mischung erhalten. An den waldigen Ufern des Liger (Loire) und
an dem vom Sturm des Oceans gepeitschten Felsenküsten von Ar-
morika erhielt sich die Wissenschaft und der Gottesdienst der Drui¬
den, die aber, wenn sie aus ihrem Dunkel hervortraten, aus Furcht
vor den Römern, deren Gebräuche beobachteten. Sie opferten auf
den Altären der römischen Götter, dachten aber, während sie die
Namen der römischen Götter aussprachen, an ihre alten gallischen
Götter.
Aber nicht bloß Religion und Sprache wurden durch die rö¬
mische Eroberung in einem großen Theile Galliens verändert, son¬
dern auch die innere politische Organisation des Volkes von Grund
aus umgewandelt.' Das Klanswesen verschwand, und römischer
Bürger zu sein galt bald für das Höchste. Diejenigen unter den
Vornehmen, die sich dem römischen Wesen mit besonderer Vorliebe
zuneigten, wurden mit der römischen Ritterwürde beschenkt, manche
stiegen zu den höchsten Würden empor. Der furchtbare neunjährige
Krieg gegen Cäsar, in welchem über eine Million Menschen umge¬
kommen sein soll, hatte die bisherigen Bande der Gesellschaft zer¬
rissen. Die Klansaristokratie hatte am meisten gelitten. An die
Stelle des einheimischen Adels, der Ritter, wie sie Cäsar nennt,
traten die Reichen und die Beamten. Eine reiche Oligarchie brachte
in Gallien wie in Italien den größten Theil des Grundeigenthums
an sich, und viele Freie sanken, da ein eigentlicher Stand der Ge-
werbtreibenden nicht vorhanden war, zu Bettlern herab. Die Leib¬
eigenen der alten Ritter wurden größten Theils wirkliche Sklaven.
Die zunehmende Verminderung der kleinen Eigenthümer, der Man¬
gel eines ehrenhaften Gewerbestandes und die große Menge von
Freien, die von öffentlichen Spenden lebten, trugen wesentlich zum
immer tieferen Verfalle der alten Welt bei.
Die heutige Weltstadt Paris erregt ein so großes Interesse,
daß es nicht unangemessen erscheint einige Worte über deren Ur¬
sprung zu sagen. Auf einer Insel der Sequana (Seine) hatten
schon vor Cäsars Zeit die Parifti, welche mit dem mächtigen
Stamme der Senonen verbunden waren, eine Stadt, Lutetia, er¬
baut. Auf dieser Insel, der heutigen Ile àe la Cité, hielt Cäsar
eine Versammlung der nordgallischen Völkerschaften. Lutetia wurde
von den Parifiern im Kampfe gegen Cäsars Legaten Labienus ver¬
brannt, aber von den Römern wieder aufgebaut. Bis zum Ende
des dritten Jahrhunderts n. Chr. wird Lutetia in der Geschichte
nicht weiter erwähnt, und nur Inschriften beweisen ihr Fortbeste¬
hen und daß selbst in diesem nördlichen Theile von Gallien der Ge¬
brauch der lateinischen Sprache und die Verschmelzung des keltischen
und römischen Kultus frühzeitig angefangen hat. Constantius Chlo-
rus, welcher bis 306 n. Chr. über Gallien und Britannien herrschte,
nahm häufig seinen Sitz in Lutetia. Man schreibt ihm die Er¬
bauung des sogenannten Palastes der Thermen zu, dessen Ueber-
reste das einzige Bauwerk sind, das Paris aus der römischen Zeit
besitzt. Von diesem Gebäude ist nur ein einziger großer Saal
übrig. Eine eigene Wasserleitung, die von dem heutigen Dorfe
Lutetia