Full text: Geschichte des Mittelalters (Theil 2)

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wie Abfall vom Glauben, Meineid, Zauberei. Allmälig blieben 
dem offenbaren Gericht nur leichte Frevel übrig; alle schwereren 
Vergehen wurden in die heimliche Acht gezogen. Die Sitzungen 
des offenen Gerichts waren theils gebotene, theils ungebotene oder 
echte Thinge, die nach alter Weise dreimal gehalten wurden und zu 
denen sich alle zum Thingstuhl Gehörenden bei Strafe einfinden 
mußten. Die Sitzungen der heimlichen Acht waren immer gebotene, 
zu denen die Theilnehmer einzeln geboten wurden. Davon wurden 
sie auch verbotene Gerichte genannt. Die Zeit der Sitzung war 
von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, unter freiem Himmel, 
immer aber nur auf der westphälischen rothen Erde. Alle Frei¬ 
schöffen hatten Zutritt zum Gericht, mindestens sieben mußten aber 
das Urtheil finden. 
Wenn die Anklage gemacht war, so ließ der Richter durch die 
Schöffen entscheiden, ob die Sache Fehmwroge sei, d. h. vor das 
heimliche Gericht gehöre. Wenn dies erklärt ward, so erfolgte die 
Ladung. Erschien der Angeklagte nicht, so wurde er verurtheilt, 
wenn der Ankläger die Anklage mit sechs Eideshelfern, die aber 
Freischöffen sein mußten, beschwor. Stellte sich aber der Ange¬ 
klagte und leugnete, so konnte er sich nur durch einen Eid und 
eine größere Zahl von Eideshelfern, als der Kläger gestellt hatte, 
reinigen. Der Eid mit 21 Eideshelfern war das höchste Zeugniß. 
Die ausgesprochene Verurtheilung hieß Verfehmuug. Trafen Frei¬ 
schöffen, deren aber mindestens drei sein mußten, einen Verfehmten, 
so henkten sie ihn an den ersten Baum und steckten ein Messer neben 
ihn, zum Zeichen, daß er von der Fehme gerichtet sei. Dasselbe 
geschah, wenn drei oder mehr Freischöffen einen todeswürdigen Ver¬ 
brecher auf der That ertappten. 
Um die Mitte des 13ten Jahrhunderts, als Gewaltthat, Fehde 
und Selbsthülfe überhand nahmen, traten die Freigerichte mehr her¬ 
vor. Die heilsamen Folgen ihrer Thätigkeit bewirkten, daß man 
sich aus ganz Deutschland an sie wandte, und daß aus allen Ge¬ 
genden Deutschlands freie Männer als Freischöffen aufgenommen 
wurden. Doch konnten nur in Westphalen Gerichtsversammlungen 
gehalten und nur dort Freischöffen ernannt werden. Ausgeschlossen 
waren Hörige, Geistliche, Weiber und Juden, und gegen diese 
wurden anfangs auch keine Klagen angenommen. Mit dem Um¬ 
fang und Ansehn steigerte sich auch die Vorstellung der Freigrafen 
von den Befugnissen ihrer Gerichtsbarkeit. Selbst den Kaiser er¬ 
kannten sie nur dann als den höchsten Richter an, wenn er nach 
Westphalen zu den alten Malstädten der Freistühle kam. In der 
Zeit der Blüthe des Bundes waren Fürsten und vielleicht die Mehr¬ 
zahl der ritterlichen Männer Freischöffen. Jeder Freischöffe war 
verpflichtet, alle ihm bekannten Handlungen anzuzeigen, welche zur 
Fehmwroge gehörten. Der mit der Vollziehung des Urtheils Be¬ 
auftragte war durch den strengsten Eid zur Vollstreckung verpflich¬ 
tet. Jeder Freischöffe, der durch das Bundeszeichen zu Hülfe ge¬ 
rufen ward, mußte Beistand leisten, und wenn es seinem Vater, 
Bruder oder Sohn galt. Wer sich des Verfehmten annahm, theilte 
dessen Schicksal. Ein so mächtiger Bund mußte einerseits die Ei-
	        
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