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hörte auf im sechzehnten Jahrhundert. Das Mittelalter hatte seine Aus.
gäbe gelöst; seine Zeit war erfüllt.
Die Aufgabe der Neuzeit ist der Staat; die Feststellung der Rechte
und Pflichten der Einzelnen gegen einander und gegen die Gesammtheit.
Der Geist dieser Zeit ist überwiegend weltlich, politisch. Die Kunst,
durch die Strömung der Zeit aus der engen Verbindung mit der Kirche
gerissen und nicht mehr erwärmt von den Ideen der Vorzeit, sah ihre
bisherigen Kräfte schwinden. Die Verweltlichung der Kunst, auch der
religiösen, war demnach die natürliche Folge, und eine trübe oder schwache
Anschauung der religiösen Aufgaben mußte sich der gesammten Kunst¬
thätigkeit mittheilen.
Den Mittelpunkt für die Kunstthätigkeit dieser Zeit bildet München.
Hier hatte die Kunstliebe der Fürsten eine große Regsamkeit hervorge¬
rufen. Paläste und Kirchen entstanden, Sammlungen wurden angelegt,
Künstler berufen und Gemälde in Oel, in Fresco und in Miniatur aus¬
geführt. Nächst München war Prag eine Hauptwerkstätte der Kunst
durch Kaiser Rudolf II., der Künstler berief und große Unternehmungen
ausführte.
Die deutsche wie die gesammte nord-europäische Baukunst war im
fünfzehnten Jahrhundert dermaßen ausgeartet, daß eine Weiterentwicke¬
lung in der bisher befolgten Richtuug nicht möglich war. In Italien
hatte man sich seit dem Ende des vierzehnten Jahrhunderts von der go¬
thischen Baukunst wieder zu der antiken gewendet. Man feierte diese
Umkehr als einen Triumph der Bildung, des guten Geschmacks, und
gab ihr den Namen der Wiedergeburt (Renaissance). Da aber die
moderne Baukunst in der Anlage und Eintheilung der Gebäude andere
Bedingungen zu erfüllen hatte, so konnte man sich der antiken Baukunst
nur zur Ausschmückung der Gebäude bedienen. Als schönstes und reich¬
stes Schmuckmittel wurden die Säulenordnungen mit ihrem Gebälke er¬
kannt, sie wurden aber den Faxaden nur äußerlich gewissermaßen ange¬
hängt und wurden in Composition und Verhältnissen vielfach abgeändert.
Auch alle anderen architektonischen Glieder, Bogen, Gesimse u. s. w.
wurden als bloße Verzierung ohne Bestimmung benutzt, und in der Auf¬
häufung, Wiederholung und Umkehrung derselben der Ausdruck von
Pracht und Reichthum gesucht. In Italien, wo ein feines Schönheits¬
gefühl ein altvererbtes Volkseigenthum ist und wo große Talente in der
neuen Richtung thätig waren, entwickelte sich diese Baukunst zu impo-
nirender Vollkommenheit. Zugleich traten auch in der Malerei und Bildne¬
rei Kräfte hervor, wie sie die Welt seit undenklichen Zeiten nicht mehr
gesehen hatte, und die italienische Kunst wurde das Vorbild für Europa.
Von dort holte man sich Kenntnisse, Geschmack, Fertigkeiten, Vorbilder
und Künstler. In jedem Lande nahm aber die Kunst Veränderungen
der italienischen Formen vor. In Deutschland räumte die gothische Bau¬
kunst nur Schritt für Schritt den Platz Es entstanden daraus wunder¬
liche Compositionen. Ganz besonders reich an Beispielen dieses Zwitter¬
stiles ist Nürnberg. Bei der Renaissance überwuchert die Ornamentik
das ganze Bauwerk bis in die kleinsten Theile. Während die höhere
Baukunst früherer Zeit fast nur an Kirchenbauten ihre Kräfte setzte, führte
die Baukunst des sechzehnten Jahrhunderts in Deutschland fast nur welt¬
liche Gebäude auf, fürstliche Schlösser, Wohn-, Kauf- und Rathhäuser.