Full text: Geschichte der neueren und neuesten Zeit (Theil 3)

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Partei und unter Anführung des Herzogs von Orleans. Die übri¬ 
gen Mitglieder des Adels und der Geistlichkeit wurden vom Volke be¬ 
schimpft, wenn sie sich nach ihren Sitzungssälen begaben. Nun befahl 
der König beiden Ständen gemeinsame Berarhung mit dem dritten, und 
am 27. Juni waren alle drei in deinselben Saale vereinigt. 
Die Kunde von dem Nachgeben des Königs wurde wie die von 
einem erfochtenen Siege gefeiert. Volkßmaffen drängten sich zum Schlöffe, 
der König und die Königin mußten auf den Balkon treten und wurden 
vom Jubel des Volkes begrübt. Auch dem Herzog von Orleans und 
anderen Freunden des dritten Standes wurden Lebehochs gebracht. Der 
widrige Eindruck dieser Scenen bestimmte den König, Neckers Gegnern 
nachzugeben und den Rath zu genehmigen, ein Heer von 30,000 Mann, 
bestehend aus deutschen, schweizerischen und italienischen Regimentern im 
französischen Solde, unter Anführung des Herzogs von Broglio in 
der Umgegend von Paris zusammen zu ziehen, um der königlichen 
Gewalt Nachdruck zu geben. 
Die Zusammenziehung der Truppen gab zu den schrecklichsten Gerüchten 
Veranlassung. Mit Gluth eiferte Mirabeau in der Nationalversamm¬ 
lung, die sich bereits mit dem Ausarbeiten der Verfassung beschäftigte, 
gegen die Vereinigung der Regimenter zu einer Zeit, wo die öffentliche 
Stimmung keine Veranlassung zu Besorgniffen biete. „Das heißt, sagte 
er, den Brand ins Haus tragen." Die Nationalversammlung beschloß, 
den König um die Auflösung des Heeres zu bitten, beruhigte sich aber 
bei der ausweichenden Antwort des Königs. 
Während dessen wuchs in Paris die Gährung. Im Garten des 
dem Herzog von Orleans gehörigen Palais-royal, in den Räumen 
des großen Gebäudes, zwischen unzüchtigen Frauen und Glücksspielen, 
fand sich die Menge zusammen. Feurige Redner sprachen von dem 
Hereinbrechen einer neuen goldnen Zeit. Fast alle Stände der Haupt¬ 
stadt ergriff dieselbe Spannung; die gewöhnliche Beschäftigung des Tages 
hörte auf; aus Straßen und Märkren wurde die Gestaltung der Zukunft 
erörtert. Selbst die Garden blieben dieser Richtung nicht fern und 
schloffen sich dem Bürger an. Erst einzeln, dann zu Hunderten begaben 
sich die Gardisten nach dem Palais-royal, wo sie mit Freudengeschrei 
empfangen und mit Wein und Speisen bewirthet wurden. Man sah 
vornehme Frauen, die diesen pflichtvergessenen Gardisten, selbst wenn 
diese eine Buhlerin am Arme hatten, um den Hals fielen. Als einige 
Gardisten wegen Verletzung der Mannszucht verhaftet wurden, rottete 
sich das Volk zusammen und befreite die Gefangenen. 
Necker zeigte sich mit der Zusammenziehung des Heeres keineswegs 
einverstanden; er tadelte vielmehr diese Maßregel. Als die Armee bis 
Paris vorgerückt war, wurde Necker von seinen Gegnern dem König als 
der Urheber der ganzen qualvollen Verwickelung und als ein höchst ge- 
fährlicher Mensch dargestellt. Der Baron Breteuil meinte, man 
müsse Necker verhaften lassen, um einen Volksaufstand zu verhüten. 
Der König gab nach und entließ Necker des Dienstes. In höch¬ 
ster Heimlichkeit, wie ihm geboten war, verließ Necker unter dem Vor¬ 
wände einer Spazierfahrt den Hof (am 11. Juli 1789). An seine 
Stelle trat Brete uil, der, wie die übrigen Minister, für einen entschie¬ 
denen Gegner des Volkes galt.
	        
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