Full text: Geschichte der neueren und neuesten Zeit (Theil 3)

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Der König in 
der National¬ 
versammlung 
und in Parié. 
werden abgefeuert; Kanonen herangeschleppt; das Haus des Gouverneurs 
und mehrere Gebäude des ersten Hofes in Brand gesteckt. Launay will 
das Pulvermagazin anzünden; aber die Besatzung giebt Ergebungszeichen. 
Eine mit Bleistift geschriebene Capitulation wird durch eine Schießscharte 
gesteckt und die Brücke niedergelassen. Der wüthende Pöbel stürzt hin- 
ein, ohne sich um die Capitulation zu kümmern. Die meisten Schweizer 
entgehen dem Tode, weil sie weiße Kittel über ihrer Uniform tragen und 
für Eingekerkerte gelten; aber die Invaliden und Officiere werden nach 
dem Rathhause geschleppt und die letzteren sowie der Gouverneur unter¬ 
wegs ermordet. 
Der Sitzungssaal des Ausschusses war mit bewaffneten Menschen 
angefüllt. Plötzlich nennen einige Stimmen den Vorsteher des Aus¬ 
schusses, Fl esse les, einen Vercäther. Er soll zu seiner Rechtfertigung 
nach dem Palais-royal geführt werden; aber vor dem Rathhause fällt 
er durch einen Pistolenschuß. Sein Kopf wird auf eine Stange gesteckt 
und mit dem des Bastillen-Gouverneurs und den abgehackten Gliedern 
anderer Ermordeten in den Straßen herumgetragen. Dieser entsetzliche 
Zug, der die Gefangenen und die erbeuteten Kanonen mit sich schleppt, 
wird von der Menge mit Jubel empfangen, und aus den Fenstern wer¬ 
fen Frauen Blumen und Kränze herab. Nacht und Regen machten die¬ 
sen Auftritten ein Ende. Aber plötzlich ertönte die Sturmglocke von 
neuem, und die Nationalgarde, so nannte sich die Bürgermiliz, griff zu 
den Waffen, weil es hieß, die Truppen drängen in die Stadt, um sie 
anzuzünden und die Bürger zu ermorden. Die auf dem Marsfelde ver¬ 
sammelten Regimenter verließen aber auf Befehl des Königs ihr Lager 
und zogen sich eiligst nach Versailles. 
Auf die Kunde von den in Paris ausgebrochenen Unruhen hielt die 
Nationalversammlung in Versailles Tag und Nacht ununterbrochene 
Sitzung; sie bat den König um Zurückberusung Neckers, um schleunige 
Entfernung des Heeres und um allgemeine Errichtung von Bürgergar¬ 
den. Ludwig XVI. aber wurde von seiner Umgebung in der gröbsten 
Täuschung erhalten und wies diese Anträge zurück. Als aber die Kano¬ 
nenschüsse, die zu Paris fielen, bis in Versailles gehört wurden, gab der 
König dem Verlangen der Nationalversammlung nach und ertheilte den 
Befehl, welcher die auf dem Marsselde stehenden Truppen abrief. In 
der Umgebung des Königs schwankte man, ob der König mit seiner Fa¬ 
milie sich unter dem Schutze der Truppen nach Metz begeben, oder ob 
ein ernsthafter Angriff auf Paris gemacht werden solle. Als die Nach¬ 
richt von der Einnahme der Bastille angekommen war, benutzte der 
Herzog von Liancourt, Mitglied der Nationalversammlung, sein 
Amt als Oberkammerherr, begab sich um Mitternacht zum Könige ins 
Schlafzimmer und bestimmte ihn, sich ganz der Nationalversamm¬ 
lung zu vertrauen und selbst in ihrer Milte zu erscheinen. Der 
König that dies am folgenden Morgen, ohne allen Prunk, bloß von 
seinen beiden Brüdern begleitet. Seine Erklärung, daß er sich ganz als 
Eins mit der Nation betrachte, daß er allein von dem Beistände ihrer 
Stellvertreter Begründung der öffentlichen Wohlfahrt erwarte, und daß er 
im Vertrauen auf die Treue und Liebe seiner Unterthanen Befehl zum 
Rückzüge der Truppen ertheilt habe, erregte lauten Beifall. Die Ratio-
	        
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