652
Der König in
der National¬
versammlung
und in Parié.
werden abgefeuert; Kanonen herangeschleppt; das Haus des Gouverneurs
und mehrere Gebäude des ersten Hofes in Brand gesteckt. Launay will
das Pulvermagazin anzünden; aber die Besatzung giebt Ergebungszeichen.
Eine mit Bleistift geschriebene Capitulation wird durch eine Schießscharte
gesteckt und die Brücke niedergelassen. Der wüthende Pöbel stürzt hin-
ein, ohne sich um die Capitulation zu kümmern. Die meisten Schweizer
entgehen dem Tode, weil sie weiße Kittel über ihrer Uniform tragen und
für Eingekerkerte gelten; aber die Invaliden und Officiere werden nach
dem Rathhause geschleppt und die letzteren sowie der Gouverneur unter¬
wegs ermordet.
Der Sitzungssaal des Ausschusses war mit bewaffneten Menschen
angefüllt. Plötzlich nennen einige Stimmen den Vorsteher des Aus¬
schusses, Fl esse les, einen Vercäther. Er soll zu seiner Rechtfertigung
nach dem Palais-royal geführt werden; aber vor dem Rathhause fällt
er durch einen Pistolenschuß. Sein Kopf wird auf eine Stange gesteckt
und mit dem des Bastillen-Gouverneurs und den abgehackten Gliedern
anderer Ermordeten in den Straßen herumgetragen. Dieser entsetzliche
Zug, der die Gefangenen und die erbeuteten Kanonen mit sich schleppt,
wird von der Menge mit Jubel empfangen, und aus den Fenstern wer¬
fen Frauen Blumen und Kränze herab. Nacht und Regen machten die¬
sen Auftritten ein Ende. Aber plötzlich ertönte die Sturmglocke von
neuem, und die Nationalgarde, so nannte sich die Bürgermiliz, griff zu
den Waffen, weil es hieß, die Truppen drängen in die Stadt, um sie
anzuzünden und die Bürger zu ermorden. Die auf dem Marsfelde ver¬
sammelten Regimenter verließen aber auf Befehl des Königs ihr Lager
und zogen sich eiligst nach Versailles.
Auf die Kunde von den in Paris ausgebrochenen Unruhen hielt die
Nationalversammlung in Versailles Tag und Nacht ununterbrochene
Sitzung; sie bat den König um Zurückberusung Neckers, um schleunige
Entfernung des Heeres und um allgemeine Errichtung von Bürgergar¬
den. Ludwig XVI. aber wurde von seiner Umgebung in der gröbsten
Täuschung erhalten und wies diese Anträge zurück. Als aber die Kano¬
nenschüsse, die zu Paris fielen, bis in Versailles gehört wurden, gab der
König dem Verlangen der Nationalversammlung nach und ertheilte den
Befehl, welcher die auf dem Marsselde stehenden Truppen abrief. In
der Umgebung des Königs schwankte man, ob der König mit seiner Fa¬
milie sich unter dem Schutze der Truppen nach Metz begeben, oder ob
ein ernsthafter Angriff auf Paris gemacht werden solle. Als die Nach¬
richt von der Einnahme der Bastille angekommen war, benutzte der
Herzog von Liancourt, Mitglied der Nationalversammlung, sein
Amt als Oberkammerherr, begab sich um Mitternacht zum Könige ins
Schlafzimmer und bestimmte ihn, sich ganz der Nationalversamm¬
lung zu vertrauen und selbst in ihrer Milte zu erscheinen. Der
König that dies am folgenden Morgen, ohne allen Prunk, bloß von
seinen beiden Brüdern begleitet. Seine Erklärung, daß er sich ganz als
Eins mit der Nation betrachte, daß er allein von dem Beistände ihrer
Stellvertreter Begründung der öffentlichen Wohlfahrt erwarte, und daß er
im Vertrauen auf die Treue und Liebe seiner Unterthanen Befehl zum
Rückzüge der Truppen ertheilt habe, erregte lauten Beifall. Die Ratio-