168 Dritte Abtheilung. Europa, Gebirge, Alpen.
Bei gewöhnlichem Witterungsstande stnd die Gewässer
meisten- seicht, und bilden in dieser Zeit kein große- Hinderniß, doch
jeder Regen, jeder neue Niederschlag verändert sie, und
giebt ihnen auf die Zeit seiner Dauer verhältnißmäßig einen ganz ent¬
gegengesetzten Karakter.
Dann strömen aus allen Felsenrissen, in allen Wasserrinnen, die
außer der Regenzeit trocken stehen, Bäche dem Thale zu; alle Gewäs¬
ser werden schnell so groß, daß sie sich weit über ihren gewöhnlichen
Rinnsal ergießen; es giebt keine Furten mehr, und durch das im Hoch¬
gebirge gewöhnlich starke Gefälle gewinnt diese außerordentliche Wasser-
menge eine so heftige Gewalt, daß sie in großen Wasserepvchen
Stege, Brücken, Dämme, Alles, waS ihr begegnet, mit sich fortreißt;
dieses Hochwasser erhält sich jedoch nur so lange, als seine
Ursache fortwirkt. Verschwindet diese, so schwindet auch schnell der
Uebersiuß des WasserS. Man kann beiläufig annehmen, daß ein Al¬
penstrom 12 Stunden unterhalb seiner Quellen, nach einem zwei Tage
angehaltenen Regen, von dem Aufhören an, nach 36 Stunden wieder
in seinen gewöhnlichen Stand werde zurückgetreten sein. Viel wirkt
auf diesen Rücktritt der Zustand der Luft, der ihn beschleunigt, oder
verspätet.
Ein merkwürdiges Erzeugniß der Gießbäche in den Alpen sind die
Muhren. Diese bestehen in angehäuftem Erdreich vor der Mündung
kleiner Thäler, und haben die Figur eines, an dieselben angeschlossenen,
flachen Kegels. Dieses Erdreich führen die Gießbäche, wenn sie stark
angeschwollen sind, von den Bergen herab, und so lange mit sich fort,
als ihre Wassermasse, in einem engen Bette eingeschlossen, mit großer
Heftigkeit fließt. Sobald sie aus diesem Zustande auf eine sanftere
und freie Sohle heraustreten, verlieren sie ihre reißende Gewalt und
alle fremden Theile, Steine, Sand, Erde und dergleichen, mit welchen
sie bisher vermischt flößen, sinken auf den Boden nieder.
Da diese Abnahme der Gewalt immer auf der nämlichen Stelle
Statt hat, so vergrößert sich mit jedem Hochwasser die Erdmenge,
welche sodann der Niederschlag, und der erzeugende Bach selbst in einem
Halbkreis stralenförmig abschwemmen. Der Bach fließt meistens über
die Mitte der Muhre fort und spült sich auf dieser Linie ein (niemalt
tiefes) Bett aus. Nur die Gewässer erzeugen Muhren, die
aus weit ausgehöhltem Becken kommen und bis zum An¬
fangspunkt ihrer Muhren noch mit all der Heftigkeit ge¬
langen, die sie in Wasserepochen erhalten. Deßhalb trifft inan
sie nur vor Schluchten oder kurzen, engen Thälern. Nie .sind sie dat