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A. Europa.
sie in unaufhaltbarer Eile, des Geschützes nicht achtend, über Gräben und
Bollwerke. Der ungewohnte Anblick so wüthender Schaaren, die man bis
dahin im burgundischen Lager als elende Bauern verachtet und kaum deö
ritterlichen Kampfes werth geachtet, verbreitete ein unbegreifliches Grauen,
ein panisches Schrecken unter die feindlichen Haufen. Vergebens waren
alle Anstrengungen Karls und mehrerer ausgezeichneten Führer; in wilder,
unordentlicher Flucht wurden sie mit dahin gerissen, an keinen Widerstand
mehr gedacht, sämmtliche Geschütze und alle Schätze des Lagers dem Feinde
tiberlassen. Noch denselben Abend ward Grandson erstürmt und die Be¬
satzung zur Vergeltung an eben die Bäume gehängt, wo sie die Schweizer
gemordet. Unermeßlich war die Beute, die man im Lager fand, damals
selbst auf 3 Millionen Gulden geschätzt; die Pracht der Zelte, der Ge¬
wänder, der Rüstungen und Kleinodien überstieg weit die Fassungskraft der
Schweizer: die größten noch jetzt bekannten Diamanten wurden als künst¬
lich geschlissenes Glas, Silbergeschirre als Zinn, Seide wie gemeine Zeuge
betrachtet und verschleudert. Nicht niedergeschlagen, aber wüthend, bot Karl
Alles auf, den Kampf zu erneuern. Mit großer Härte erpreßte er Geld
und Menschen von seinen Unterthanen, und wenige Wochen nach seiner
Niederlage erschien er mit einem mächtigeren, wenn auch weniger prächtigen
Heere an dem Genfer See. Von Lausanne brach er auf nach Bern, dem
vorzüglichen Ziele seiner Rache; bei Murten traf er auf die indeß wieder
gesammelten Eidgenossen. Auch diesmal, aber vergeblich, sollte die Ein¬
nahme von Murten das Vorspiel des Sieges sein; die heldenmüthige Be¬
satzung unter dem greisen Altschnltheißen von Bern, Hadrian von Buben¬
berg, widerstand allen Stürmen. Am 22. Juni früh Morgens begann die
Schlacht: härter und blutiger als bei Grandson ward hier gestritten; aber
als 1500 Edle und die meisten Anführer gefallen, das Geschütz im wüthen¬
den Anlauf genommen, da vermochte nichts mehr, die Flucht und Zer¬
streuung der Burgunder zu hemmen, und ungeheuer war ihr Verlust auf
der Flucht. Der Herzog entkam mit kaum 30 Reitern, es wurden keine
Gefangene gemacht; mehrere tausend Reiter, welche sich an den schilfigen
Usern des Sees zu retten hofften, versanken in die Tiefe; außer diesen,
deren Zahl ungewiß, blieben mindestens 15,000 in der Schlacht.
Reim,
Herzog von Lothringen, eilte sogleich, mit Hülfe der Schweizer sein Land
wieder zu erobern, was ihm auch vollkommen gelang, so daß selbst Nancy
wieder in seine Gewalt' fiel. Auch Karl, von dem wildesten Unnmth ge¬
peinigt, wüthend und halb wahnsinnig, betrieb neue Rüstungen, um noch
iin Winter Lothringen wieder zu erobern. Rens begab sich selbst in die
Schweiz und erhielt 8000 Mann statt 6000, die er verlangte; mit diesen
eilte er Nancy zu Hülfe. Mit einem an Zahl schwächeren, von Kälte und
Hunger geschwächten, an Geist mit den Eidgenossen gar nicht zu vergleichen¬
den Heere, bestand Karl gegen den Rath und die Bitten aller seiner Ge¬
treuen daraus, nicht allein die Schlacht anzunehmen, sondern auch noch in
der Nacht vorher Nancy zu stürmen. Es war am 5. oder 6. Januar
1477. Der Ausgang konnte nicht zweifelhaft sein. Karl, von Vielen ver¬
lassen, von Einigen verrathen, stürzte niit blinder Wuth in die Schlacht.
Vergebens erkannte er selbst in dem beim Aufsitzen von seinem Helme
herabfallenden goldenen Löwen ein göttliches Warnungszeichen; vergebens