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A. Europa.
der Nation dermaßen angegriffen, daß sie sich kaum nach 100 Jahren hat
erholen können. Sein Tod führte bald einen allgemeinen Frieden, zuletzt
mit Rußland 1721 herbei, in tvelchem Schweden aber, mit Ausnahme
eines kleinen Theils von Pommern und Finnland, alle seine auswärtigen
Besitzungen verlor. Nun ward das Land in einer nüt Unrecht die Frei¬
heitszeit genannten Periode zum Tummelplatz von Parteistreitigkeiten und
Zügellosigkeiten. Die Reichsstände, eingedenk ihrer alten Macht, wählten
zwar die jüngere Schwester Karls, Ulrike Eleonore, den letzten Sprößling
aus dem Hause Wasa, und ihren Gemahl Friedrich, Erbprinzen von Hessen-
Kassel, aber unter großen Einschränkungen, welche unter seinem Nachfolger
Adolph Friedrich von Holstein-Gottorp und dessen Sohn Gustav III. immer
drückender wurden. Eben diese unbillige Macht der Stände und der immer¬
währenden Reichsräthe erleichterte Gustav III. 1771—92 die durch ihn
bewirkte Revolution. Er gewann die Liebe des Lölkes und eines großen
Theils des Heeres durch seine Tapferkeit und sein männlich offenes Wesen,
und hierauf gestützt nahm er 1772 die Reichsräthe gefangen und führte
eine neue, den König weniger bindende, doch billige Verfassung ein. Der
empörte, in seiner Macht und seinem Stolze gekränkte Adel rächte sich durch
Meuchelmord. Gustav III. ward am 16. März 1792 im Opernhanse zu
Stockholm, während eines Maskenballes, von Ankarström durch einen Pisto¬
lenschuß tödtlich verwundet. Sein unmündiger Sohn Gustav IV. Adolph
stand bis 1796 unter der Vormundschaft seines Oheims Karl, des Herzogs
von Südermannland. Seine Regierung wird durch große Unglücksfälle be¬
zeichnet. Als Theilnehmer deö Krieges gegen Frankreich verlor er Schwe-
disch-Pommern und die für Schweden so wichtige, kornreiche Provinz Finn¬
land an Rußland. Eine Verschwörung der Großen nöthigte ihn 1809,
für sich und seine Nochkommen dem Throne zu entsagen und Schweden zu
verlassen (f 1837 zu St. Gallen). Sein Oheim Karl XIII. trat in seine
Stelle und mußte noch 1809 die letzten Besitzungen in Rußland an dieses
abtreten. Der zum Nachfolger erwählte Kronprinz, der junge Herzog
Christian August von Augustenburg, starb plötzlich 1810, und nun ward
der ehemalige Marinesoldat, später Marschall Bernadotte und Prinz von
Ponte Corvo, zum Erbprinzen erwählt und von Karl XIII. adoptirt, welcher
als solcher Antheil an dem Befreiungskriege 1813 in Deutschland genommen.
1814 gelangte Schweden in den Besitz von Norwegen, mußte aber die letzten
Ansprüche auf Pommern und Rügen aufgeben. 1818 bestieg Bernadotte
unter dem Namen Karl XIV. Johann den Thron, ihm folgte, nach einem
langen segensreichen Wirken sein Sohn Oskar I. 1844 und nach dessen
Tode übernahm König Karl XV., der Sohn von Oskar I., am 8. Juli
1859 die Regierung. Am 6. August 1860 fand auch in der Domkirche zu
Drontheim in Norwegen die Krönung des neuen Königspaares statt, wäh¬
rend die Krönung zu Stockholm dieser schon am 3. Mai 1859 vorausge¬
gangen war. Die schwedisch-norwegische Geschichte bietet in den letzten
Jahrzehnden ein Bild des besonnenen Fortschrittes und innerer staatlichen
Entwicklung. Das Land betheiligte sich an keinem der kriegerischen Acte,
welche unter unseren Augen in Dänemark und in Deutschland vollzogen
worden. Durch Einführung der Gewerbefreiheit in Schweden^ (1864),
Schließung von Handelsverträgen und zeitgemäße Reform der Verfassung