VIL Das chinesische Reich.
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verbietet den Bergbau, indeß findet sich viel Waschgold und Quecksilber.
Ein Hauptprodnct des Landes ist aber der Tinkal, ein natürliches Salz,
welches sich an seichten Stellen vieler Landseen ausscheidet und woraus der
Borax bereitet wird.
Die Einwohner, deren Zahl wohl höchstens 5—6
Millionen betragen kann, gehören zur mongolischen Race, sind jedoch besser
gebildet als die eigentlichen Mongolen und ein gutmüthiges, höfliches, aber
äußerst unreinliches und abergläubisches Volk. Zu den Sonderbarkeiten
ihrer Sitten gehört auch die hier gewöhnliche Polyandrie (Vielmännerei),
vielleicht absichtlich als Sitte begünstigt, um die Uebervölkerung des armen
Landes zu verhindern; doch sind es immer nur mehrere Brüder, welche
eine Frau gemeinschaftlich haben; übrigens sind die Sitten untadelig und
die Frauen genießen einer anständigen Freiheit. Das Volk ist größtentheils
äußerst arm, aber in Handarbeiten nicht ungeschickt, und steht in Hinsicht
auf Wissenschaft und Künste wenigstens auf gleicher Stufe mit den Chinesen.
Es sind sehr wenig Städte im Lande, aber unzählige Klöster, um welche
her Dörfer entstanden sind; viele Einwohner wohnen unter Zelten. Sie
haben eine heilige Sprache Utschen und eine Volkssprache Um in, welche
dem Wesen nach der chinesischen verwandt ist; aber ihre Schrift ist eine
alterthümliche indische Silbenschrift und wird von der Linken zur Rechten
geschrieben. Sie besitzen zahlreiche Bibliotheken; doch besteht ihre Literatur
größtentheils aus Werken, die aus dem Sanskrit übersetzt und meist reli¬
giösen Inhalts sind. — Die Religion, welche hier tiefer als irgendwo auf
Erden in alle bürgerlichen Verhältnisse eingreift, ist der Lamaismus, dem
Wesen nach die Religion des Buddha; auch soll sie aus Indien stammen.
Neben den gemeinschaftlichen Lehren der Seelenwanderung und der unzäh¬
ligen Menge von Untergöttern haben die Tübetaner die besondere Ansicht,
daß der oberste dieser Untergötter, den sie Xac a neunen (ganz wie der
Buddha oder der Fo der Chinesen), ewig auf Erden lebe, in irgend einem
Menschen verkörpert. Diesen, dem sie daher göttliche Verehrung leisten,
nennen sie Lama; bei seinem Tode nennt er gewöhnlich Denjenigen, in
welchem er wieder erscheinen werde; wenn dies nicht geschehen, wissen die
Geistlichen den neuen Lama oft in einem neugeborenen Kinde wieder zu
erkennen; woran aber? dies wird als das größte Geheimniß behandelt. Da
nun aber alle vornehmen Geistlichen Lamas genannt werden, so unterscheidet
man den, in welchem der Gott wohnt, durch den Titel Dalai-Lama.
Außer ihm giebt es in Tübet noch einen zweiten - oberen Lama, den Bogdo-
oder Tischu-Lama, in welchem nach Einigen der sich verdoppelnde Xaca,
nach Anderen ein anderer Gott wohnt; beide haben sich das Reich, welches
gleichsam der Kirchenstaat der buddhistischen Welt ist, getheilt und wohnen
jetzt friedlich neben einander. Auch von vielen anderen Lamas, ja selbst
von weiblichen, wird geglaubt, daß ein Gott sie beseele. Die große Ver¬
ehrung, welche die Lamas genießen, hat die Zahl der Geistlichen, deren
Einfluß auf die Gesittung des Volkes keineswegs ein gesegneter jit sein
scheint, unverhältnißmäßig gesteigert. Sie werden im Allgemeinen Ghlongs
genannt, leben in Klöstern vereinigt, haben eine eigene Kleidung, dürfen
nicht heirathen, müssen sich aller Fleischspeisen wie aller geistigen Gettänke
enthalten und blos von Almosen leben. Das ganze Land ist mit unzähligen
Klöstern für beide Geschlechter bedeckt. Ausfallend und den katholischen
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