Full text: Neuere Geschichte (Theil 3)

I. Einleitendes und Allgemeines. 
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mit einer tief anS dem Abgrunde thierisch-kanibalischer Natur geholten 
Grausamkeit. Hat Kalvin, der bereits der Hierarchie den Rücken 
gekehrt hatte, Servetus auf den Scheiterhaufen verhelfen, so war 
er dieselbe Ausgeburt des Höllengeistes, als die „ ehrwürdigen Väter 
der heiligen Inquisition." 
Während die Kirche auf die Geisteswaffe verzichtete, und zur 
Durchsetzung ihrer Zwecke nur äußerer Gewalt sich bediente, trat sie 
ganz und gar aus ihrer ursprünglichen Sphäre heraus. Sie hörte 
mit dem Verltiste ihres Geistes, der allein Berechtigung giebt, auf, 
eine einige, allgemeine, allberechtigte zu sein; sie hat diesen Geist 
nicht nur nicht rcalisirt, sondern sie ist gerade in sein Gegentheil 
umgeschlagen. Mußte da nicht die ganze Intensität der im Geiste 
und in seiner Erkenntniß stehenden Geschichte sich kehren gegen sic, 
als die Erscheinung des Ungeistes, die brutale Vollzieherin des ge¬ 
heiligten Frevels und der Gewaltthat? In allen Sphären des Lebens, 
wo überhaupt noch religiöser Geist vorhanden war, mußte eine Reaction 
gegen die römische Kirche erstehen. Der Gottesgeist schlummert nie, 
unterdrückt, steht er nur schöner zum Feiertage wieder auf. 
Zur Zeit, als ein kühner Segler den Weg nach Amerika fand, 
sagte man, daß die neue Welt entdeckt worden sei. Man könnte 
dieß eben so wahr und wahrer von der geistigen Welt behaupten, 
die um jene Zeit über Europa, insbesondere über die germanischen 
Stämme aufgehen sollte. Das Individuum flieht ans seiner Welt 
der Endlichkeit, des todten Kultus, nach Innen, und findet dort die 
Befriedigung, die ihm das äußere Wort, die fremde Autorität, die 
blos objective Vermittlung mit Gott durch den Priester nicht geben 
kann. Alles, was dem Menschen, als tausendjähriges Besitzthum 
eigen war, sollte ihm theils für immer zerbrechen, theils in verjüng¬ 
ter Gestalt wieder werden. Das Individuum wird auf sich und seine 
Kraft gestellt und betritt eine von der bisherigen Sphäre seiner Bil¬ 
dung und seiner Arbeit unabhängige Welt. Es ist der Idealismus, 
das Subjektive, daö im Menschen auflebt; das occidentalische Be¬ 
wußtsein ringt vom orientalischen, von dem es schon in den Kreuzzügen 
am heiligen Grabe, wie Hegel so schön sagt, Abschied genommen 
und seinem Principe der Freiheit sich zugewandt hatte, gänzlich sick- 
los. Des Menschen Gemüth, nachdein es so lange in einer jensei¬ 
tigen, den Himmel verheißenden Anschauung, ahndend sich bewegt 
hatte, sollte der gesunden Wirklichkeit wiedergegeben werden. Diese
	        
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