Full text: Lehr- und Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen und Fachschulen sowie zur Selbstbelehrung

II. Kulturbilder aus Welt uud Werkstatt. 
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Spiegel zu gießen und nun kam die Spiegelfabrikalion allgemein in Aufnahme. Die 
Ausschmückung der Zimmer aber wurde durch die Erfindung der Gobelin'schen Tapeten 
(Gobelins) vollendet, welche man seit 1667 in Frankreich verfertigte; ihnen folgten die 
Wachstuchtapeten. Auch die Töpferei machte die erfreulichsten Fortschritte. Schon im 
16. Jahrhundert hatte man am Mederrhein vortreffliche Bier- und Weinkrüge mit plasüschen 
Zierden und zum Teil mit farbiger Glasur und Vergoldung zu verfertigen gewußt. 
Nun brachten die Portugiesen aus China und Japandas Porzellan, das Böttger 
im Anfange des 18. Jahrhunderts in Sachsen nachzumachen lernte, der die berühmte 
Meißner Porzellanfabrik errichtete, auf welche die Fabriken zu Wien, Berlin und 
Nymphenburg folgten. Dann wurde das englische Steingut erfunden. Die Kupfer- 
und Blechschmiede lernten ihre Gefäße verzinnen. Fast ein neues Gewerk entstand 
in den Wagenmachern. Noch im 15. Jahrhundert fuhren nur die Fürsten in 
Kutschen, erst im 16. Jahrhundert wurden sie allgemeiner und zwar zuerst in 
Deutschland; 1546 kamen sie nach Spanien, 1580 nach England und unter 
Ludwig XIV. nach Frankreich, wo sie besonders in Aufschwung kamen und immer 
bequemer und schöner verfertigt wurden. Ein völlig neues Gewerbe entstand aber in¬ 
folge der Weltentdeckung in den Spezerei- und Kolonialwarenhändlern, welche Zucker, 
Kaffee, Tabak, Thee, Schokolade und eine Menge der köstlichsten Gewürze in Vertrieb 
setzten und den Genuß des Lebens erhöhten. Auch die Gewerbe, welche zum Dienste 
des höheren Lebens berufen sind als Buchdruckerei, Buchbinderei und Papierfabrikasion 
hatten einen bedeutenden Aufschwung genommen. Die Menge der Bücher, welche 
seit dem 16. Jahrhundert erschienen, ist unzählbar, und durch sie drang die Bildung 
auch allmählich in die niederen Volksschichten und so geht in der Mitte des 18. Jahr- 
Hunderts ihre Zeitperiode auf, welche die Zeit der Aufklärung genannt wird. 
Wenn auch bis zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch schon einzelne 
Maschinen, welche durch die Kraft des Windes oder Wassers oder noch durch die 
menschliche Hand in Bewegung gesetzt wurden, den Gewerbebetrieb vervollkommnet 
hatten, so wat doch erst ein ungeahnter Aufschwung ein, als man eine Riesenkraft 
der Natur so zu bändigen und zu beherrschen gelernt hatte, daß man sie von jeder 
beliebigen Größe auf einen Punkt vereinigen konnte und zwar wann, wo und wie 
man wollte, zu jeder Zeit, regelmäßig, ununterbrochen, direkt und indirekt. Diese 
Kraft war die des Dampfes und das Werkzeug ihrer Beherrschung die Dampf¬ 
maschine, die in vollkommen brauchbarer Gestalt zuerst von James Watt (1769—85) 
hergestellt wurde. Durch die Dampfmaschine erhielten erst die anderen Maschinen 
ihre größte Leistungsfähigkeit, die Spinn- und Webemaschinen, von Arkwrigh t (1774) 
und Cartwright (1792) erfunden, die Dressur-, Appretur-, Klopf-, Auspreß- und 
Schermaschine. Jacquard erfand 1810 die Seidenwebemaschine, welche die einfach¬ 
sten wie die zusammengesetztesten Muster ausführt. Seit Ende und Anfang 
dieses Jahrhunderts folgte im Maschinenwesen eine Erfindung der anderen. So 
giebt es jetzt kaum eine menschliche Handarbeit, die nicht durch eine Maschine nach¬ 
geahmt wird; es giebt Maschinen, die gießen, schmieden, walzen, bohren, schneiden, 
sägen, feilen, hobeln, drehen, prägen, nieten und dann solche, welche Schrauben 
schneiden, Draht ziehen, Nägel und Nadeln, Taue und Ketten, Drahtstifte und 
Münzen fabrizieren, lauter automatische Maschinen, die, von einer gewaltigen Dampf¬ 
maschine in Bewegung gesetzt, mit einer Kraft, Schnelligkeit, Regelmäßigkeit und 
Genauigkeit Arbeiten ausführen, wie es dem Menschen mit seinen Händen nicht 
möglich ist. Eine Kreissäge schneidet in 21 ein dickem, trockenem Eichenholz stündlich 
10 gm, was gleich einer Arbeit von 24 Männern ist. Die Stecknadel¬ 
maschine erzeugt in 48 Stunden 100 000 Nadeln, die Drahtstiftmaschine in einer 
Minute 300 Stück Stifte und die Kleiderhäckchenmaschine 350 Stück. Eine Münz¬ 
maschine prägt in einer Minute 135—150 Mark. Aber die Maschinen haben sich 
auch auf das Gebiet der Kunst erhoben; es giebt Graviermaschinen, die prachtvolle 
Armringe, Siegelringe und anderen Schmuck anfersigen; Reliefkopiermaschinen, die 
Medaillen aufs vollkommenste nachbilden und Guillochiermaschinen, die auf Uhrge¬ 
häusen, Dosen, Tiere, Blumen uud Arebesken zustande bringen, wie es der bloßen 
Handarbeit eine unauflösliche Aufgabe wäre. 
Ausgezeichnet waren die Eichndungen der galvanischen Vergoldung anstatt der 
Ähren s, Lehr» und Lesebuch für Fortbildungsschulen. 15
	        
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