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X. Die Felshöhle von Guácharo.
28as neben der außerordentlichen Kühle des Klima's dem Thale
von Caripe am meisten Auszeichnung und Ruf verschafft, ist die
große Cueva oder die Felshöhle von Guácharo. In einem Lande,
wo man das Wunderbare liebt, ist eine Felshöhle, aus der ein
Fluß entspringt, und die von vielen tausend Nachtvögeln bewohnt
wird, deren Fett in den Missionen zur Zubereitung der Speisen
dient, ein unerschöpflicher Gegenstand für Unterhaltung und Ge¬
spräche.
Die Höhle, welche die Eingebornen eine Fettmine nennen, be¬
findet sich nicht im Thale von Caripe selbst, sondern in der Ent¬
fernung drei kleiner Meilen vom Kloster west-süd-westlich. Sic
öffnet sich in ein Seitenthal, das nach der Sierra del Guácharo
ausläuft. Wir machten uns auf den Weg nach der Sierra in
Begleitung des Alcaldes oder indianischen Magistrats, und der mei¬
sten Ordensleute des Klosters. Ein schmaler Fußpfad führte uns
anfänglich anderthalb Stunden in südlicher Richtung durch eine
liebliche, mit schönem Rasen bekleidete Ebene; nachher lenkten wir
westlich ein längs eines Baches, welcher aus der Öffnung der
Höhle hervorkommt. Während drei Viertelstunden des Emporstei-
gens ungefähr folgt man, bald im untiefen Wasser, bald zwischen
dem Waldstrom und einer Felswand, einem sehr schlüpfrigen und
kothigen Pfade. Das Einsinken des Erdreichs, die vereinzelten
Baumstämme, über welche die Maulthiere wegzuschreiten Mühe
haben, die Rankenpflanzen, von denen der Boden überdeckt ist,
machen diesen Theil des Weges sehr ermüdend.
Wo man sich am Fuße des hohen Guácharo-Berges nur noch
400 Schritte von der Höhle entfernt befindet, erblickt man jedoch
ihre Öffnung noch nicht. Der Waldstrom fließt in einer vom
Gewässer ausgehöhlten Schlucht, und der Pfad führt unter einem
Felsgesims hin, dessen vorstehender Theil die Aussicht in die Höhe
raubt. Wie der Bach, so schlängelt sich auch der Fußsteig; bei der
letzten Krümmung steht man plötzlich vor dem sehr geräumigen Ein¬
gänge der Grotte. Dieser Anblick hat etwas Erhabenes, selbst für
den, welcher an die malerischen Bilder der Hochalpen gewöhnt ist.
Die Cueva del Guácharo öffnet sich im senkrechten Durch¬
schnitt eines Felsens. Der Eingang steht südwärts; ihr Gewölbe