Full text: Deutsches Lese- und Sprachbuch für die Oberstufen der Volks- und Bürgerschulen (Abt. 3)

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Sobald er die Hörner unterscheiden kann, schiesst er. Geht die 
Gemse mit vorrückendem Tage höher hinauf, so sucht er unver¬ 
merkt höher zu kommen, und schneidet ihr den Weg ah. Schwer 
ist es dem Jäger, einer ganzen Heerde beizukommen; eine einzelne 
nur ist meistens seine Beute. Sie hat ein sehr zähes Leben , und 
wenn er nicht Kopf oder Brust trifft, so hat er gewöhnlich das 
Nachsehen. Oesters stürzt auch die Gemse in einen Abgrund, dass 
sie gänzlich unbrauchbar wird. Am gefährlichsten für den Jäger 
wird das Verfolgen, wenn die Gemse auf flache und steile Felsen- 
massen flüchtet, und der Jäger nachsteigt. Hier versteigt er sich 
oft so, dass er weder vor- noch rückwärts kann, und froh sein 
muss, wenn er nach stundenlangem Bemühen sich retten kann. 
Er soll sich dann öfters Hände und Füsse aufschneiden, um durch 
das klebende gerinnende Blut sich besser anhalten zu können. Hat 
der Jäger nun endlich eine oder gar zwei Gemsen erlegt, so fängt 
die Last und Noth erst an; denn er muss nun mit der schweren 
Bürde wegsame Gegenden aufzufinden suchen. Zuerst weidet er 
die Thiere aus, bindet die vier Füsse zusammen, und hängt sie 
quer über die Stirn, so dass der Körper der Thiere über den 
Rücken des Jägers hängt. So beladen steigt er, an den Alpenstock 
sich lehnend, behutsam hinunter. 
Eisige Winde, Schneegestöber, dichter, undurchdringlicher Nebel 
und Stürme bereiten dem Gemsenjäger Gefahren, denen er selten 
auf die Dauer entgeht. Allein die Leidenschaft ist bei diesen Men¬ 
schen so stark, dass mancher auf der Jagd gestürzte Jäger, kaum 
geheilt, wieder in die Gebirge eilt, um frische Wunden oder den 
Tod zu holen. 
Der ganze Gewinnst beträgt drei bis vier grosse Thaler, welche 
man für eine Gemse zahlt. Das Fleisch von jungen, nicht zu 
alten Thieren ist sehr schmackhaft, und aus dem Leder werden 
vortreffliche Handschuhe verfertigt. Kaup. 
75. Der Alpenjäger 
Es donnern die Höhen, es zittert der Steg, 
Nicht grauet dem Schützen ans schwindligem Weg. 
Er schreitet verwegen 
Aus Feldern von Eis; 
Da pranget kein Frühling, 
Da grünet kein Reis; 
Und unter den Füßen ein' nebliges Meer, 
Erkennt er die Städte der Menschen nicht mehr; 
Durch den Riß nur der Wolken 
Erblickt er die Welt, 
Tief unter den Wassern 
Das grünende Feld. Schiller
	        
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