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In der höchsten Wuth des erzürnten Sturmes muß man sogar
die Masten kappen, d. h. nahe an dem Verdeck abhauen, und nun fliegt
das Schiff auf der öden Meeresflache umher, rettungslos verloren, wenn
es keinen Hafen erreichen kann, oder wenn nicht der Zufall den Noth¬
leidenden ein Schiff in den Weg führt, das fie aufnimmt. Sonst
zerschellt es an einer Klippe, oder bleibt auf einer Sandbank fitzen, bis
die Wellen ein Brett nach dem andern losspülen, oder treibt auf der
offenen See umher, bis Hunger und Durst die Mannschaft zur Ver¬
zweiflung, zum Tode führt. Zi mm ermann.
82. Cin Sturm auf der Nordsee.
,,Ach! der herrliche Stern, der dort aufgeht," rief eine der jün-
gern Damen aus und wies nach Süden. — ,, Das ist kein Stern,"
belehrte der alte Grau, „sondern das 18 Seemeilen entfernte Leucht¬
feuer auf Neuwerk, welches so eben angezündet wird. Nicht immer ist
es zu sehen. Jetzt ist jene Gegend so still und klar, daß man deutlich
im Schein der Laterne den Rauch des eben vorbeigehenden Hüller Dampfers
erkennen kann; etwas links von jener Stelle, wo jetzt der Rauch auf¬
wirbelt, zieht fich der schreckliche Vogelsand hin, der in seinem flüssigen
Sande schon Tausende von Fahrzeugen mit ihren wackern Mannschaften
verschlungen hat."
Der Alte schwieg einige Sekunden, im Nachsinnen verloren, dann
fuhr er mit gedämpfter Stimme fort: „Nie werde ich die schreckliche
Nacht vom letzten August des Jahres 1829 vergessen. — Am Nach¬
mittag hatte sich ein Sturm aus Nordwesten erhoben, so wild, so furcht¬
bar , wie ich noch keinen hier erlebte. Die größten Felsblöcke am Vor¬
lande tanzten auf den Wellen wie Korkstückchen und knirschten an ein¬
ander, als-würden sie zu Staub zermalmt. Die ganze See schien zu
kochen, man sah keine Flache, keine Welle, nichts als umhergejagten
Schaum; die Brandung brüllte zwischen dem Neustag und dem Mönch
und in dem alten Mörmersgatt und tobte zwischen den Klippen, daß
der Gischt uns hier oben am Leuchtthurm durchnäßte. Da standen wir
Männer und Weiber und schauten dort hinaus nach der Weser, wo
sich ein verlornes Fahrzeug sehen ließ, was schwer mit dem Sturme
kämpfte. Immer mehr wich es trotz aller straff gespannten Segel nach
Osten ab und war schon bei Neuwerk vorbeigetrieben nahe dem Vogel¬
sand, da stürzte Plötzlich mit fliegenden Haaren ein Weib zwischen uns
und schrie: rettet, rettet meinen Mann, euern Freund.' kennt ihr denn
die Dorothea nicht mehr? Und so war's, das Auge der Ll/be hatte
scharfer gesehen als wir alten Seehunde, — die Dorothea, von Bremen
kommend und geführt von unserm besten Burschen Jacob Jaspersen.
Das Weib jammerte, rang die Hände, umschlang unsere Kniee und
flehte um Rettung, wir mußten uns abwenden; ach, fie wußte so gut
als wir, daß bei dem Wetter kein gewöhnliches Fischerboot See halten
konnte, und kein anderes lag im Hafen. — Immer näher kam der schreck-